Meldepflicht bei grenzüberschreitenden Steuergestaltungen
Am 25.5.2018 hat die EU eine Änderung der sog. Amtshilferichtlinie beschlossen. Gegenstand der Richtlinienänderung ist die Einführung von Meldepflichten bei grenzüberschreitenden Gestaltungen und deren automatischer Austausch zwischen den Mitgliedstaaten. Die Meldepflichten sollen dabei helfen, die Mitgliedstaaten früher in Kenntnis darüber zu setzen, welche Gestaltungen im grenzüberschreitenden Kontext innerhalb der EU bestehen und welche steuerlichen Folgen diese nach sich ziehen können.
Was muss gemeldet werden?
Gemäß Art. 8ab der neu gefassten Amtshilferichtlinie muss jeder Mitgliedstaat die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um sog. „Intermediäre“ zur Vorlage der ihnen bekannten, in ihrem Besitz oder unter ihrer Kontrolle befindlichen Informationen über meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltungen bei den zuständigen Steuerbehörden zu verpflichten. Gegenstand der Meldepflichten sind folglich „meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltungen“.
Was ist eine Gestaltung?
Der Begriff der „Gestaltung“ wird in der Richtlinie nicht definiert. Der Begriff scheint zwar zunächst negativ behaftet. Wie sich aus dem Kontext der Richtlinie (insbesondere vor dem Hintergrund einiger Kennzeichen) ergibt, muss eine Gestaltung jedoch kein unangemessenes Verhalten des Steuerpflichtigen und auch keine bewusst auf einen Steuervorteil abzielende Handlung des Steuerpflichtigen darstellen. Das Wort „Gestaltung“ kann damit wohl als „Situation“ oder „Sachverhalt“ verstanden werden, die vom Steuerpflichtigen geschaffen wurden.
Wann liegt eine grenzüberschreitende Gestaltung vor?
Nach Art. 3 Abs. 18 der Amtshilferichtlinie ist eine „grenzüberschreitende Gestaltung“ gegeben, wenn entweder mehr als ein Mitgliedstaat oder ein Mitgliedstaat und ein Drittstaat betroffen sind. Eine grenzüberschreitende Gestaltung liegt insbesondere bei grenzüberschreitenden Transaktionen zwischen Unternehmen, bei Doppelansässigkeiten, in Betriebsstättensachverhalten oder bei sonstiger grenzüberschreitender Ausübung der Unternehmenstätigkeit vor.
Welche grenzüberschreitenden Gestaltungen sind meldepflichtig?
Eine grenzüberschreitende Gestaltung wird nach Art. 3 Nr. 19 Amtshilferichtlinie „meldepflichtig“, wenn sie mindestens eines der in Anhang IV zur Richtlinie aufgeführten Kennzeichen aufweist. Ein solches „Kennzeichen“ soll nach Art. 3 Nr. 20 Amtshilferichtlinie ein Merkmal oder eine Eigenschaft einer grenzüberschreitenden Gestaltung sein, das bzw. die auf ein potenzielles Risiko der Steuervermeidung hindeutet.
Diese Kennzeichen sind in Anhang IV aufgeführt. Es wird dort unterschieden zwischen Kennzeichen, die nur dann zur Meldepflicht führen, wenn festgestellt werden kann, dass der oder einer der Hauptvorteile, die von der Gestaltung erwartet werden können, die Erlangung eines Steuervorteils ist („Main benefit“-Test). Lässt sich dies feststellen, so werden z. B. Gestaltungen, die zur Umwandlung von Einkünften in niedriger besteuerte oder steuerbefreite Arten von Einkünften führen oder bei denen Zahlungen zwischen verbundenen Unternehmen beim Empfänger einer Körperschaftsteuer von null oder nahe null unterliegen, steuerbefreit sind oder in den Genuss eines präferenziellen Steuerregimes kommen, meldepflichtig. Ungeachtet des „Main benefit“-Tests ergeben sich darüber hinaus weitere Meldepflichten im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Gestaltungen, z. B. bei Abschreibung von Vermögenswerten in mehr als einem Staat, bei Überführung von Vermögenswerten in andere Staaten (Entstrickung), sofern wesentlich unterschiedliche Werte in beiden Staaten angesetzt werden, oder im Rahmen von Verrechnungspreisgestaltungen bei Inanspruchnahme von Safe-Harbor-Regeln bzw. bei Vorliegen schwer zu bewertender immaterieller Werte.
Wer muss die Gestaltung melden?
Nach Art. 8ab Amtshilferichtlinie sind grundsätzlich die „Intermediäre“ zur Meldung verpflichtet. Ein Intermediär ist nach Art. 3 Nr. 21 Amtshilferichtlinie jede Person, die eine meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltung „konzipiert, vermarktet, organisiert oder zur Umsetzung bereitstellt oder die Umsetzung einer solchen Gestaltung verwaltet“. Der Ausdruck soll jedoch auch jede Person umfassen, die weiß oder vernünftigerweise wissen müsste, dass sie im Hinblick auf die vorab genannten Tätigkeiten unmittelbar oder mittelbar Hilfe, Unterstützung oder Beratung geleistet hat. Intermediäre sind insbesondere die an der Gestaltung beteiligten Berater. Eine bedeutsame Ausnahmeregelung ergibt sich aus Art. 8ab Abs. 5 Amtshilferichtlinie. Demnach sind Intermediäre von der Meldepflicht zu befreien, wenn sie dadurch gegen eine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht verstoßen würden. Auf diese Ausnahme können sich Intermediäre jedoch nur berufen, wenn sie ihre Tätigkeit im Rahmen der für ihren Beruf relevanten nationalen Rechtsvorschriften ausüben. Dies wird insbesondere für Deutschland gelten. Hier werden die insbesondere für Steuerberater und Rechtsanwälte geltenden beruflichen Schweigepflichten dazu führen, dass die Steuerpflichtigen selbst die Meldepflichten, in der Regel wohl überwiegend durch ihre Berater, durchführen müssen.
Wann muss gemeldet werden?
Die Meldung hat innerhalb von 30 Tagen nach dem Tag, an dem die Gestaltung zur Umsetzung zur Verfügung gestellt wird, an dem die Gestaltung umsetzungsbereit ist oder wenn der erste Schritt der Umsetzung der Gestaltung gemacht wurde, zu erfolgen. Diese Frist beginnt mit Realisierung des frühesten der folgenden Zeitpunkte: a) der Tag, nach dem die meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltung zur Umsetzung bereitgestellt wird, b) der Tag, nach dem die meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltung umsetzungsbereit ist oder c), wenn der erste Schritt der Umsetzung der meldepflichtigen grenzüberschreitenden Gestaltung gemacht wurde.
Die Vorschriften zur Meldepflicht sind grundsätzlich ab dem 1. Juli 2020 anzuwenden. Eine (Nach-)Meldepflicht bis zum 31. August 2020 besteht jedoch für solche grenzüberschreitenden Gestaltungen, deren erster Schritt zwischen dem Datum des Inkrafttretens und dem Datum des Beginns der Anwendung der Richtlinie umgesetzt wurde (Art. 8ab Abs. 12 Amtshilferichtlinie). Foglich sind aufgrund der Veröffentlichung am 5. Juni 2018 seit dem 25.6.2018 angestoßene Gestaltungen meldepflichtig.
Hinweis: Bereits heute ist damit eine dezidierte Auseinandersetzung mit den Meldepflichten geboten. Nicht nur insoweit, als sicherzustellen ist, dass nunmehr angestoßene Gestaltungen gemeldet werden, sondern ebenfalls, um zu dokumentieren, dass etwaige sachlich meldepflichtige Gestaltungen deshalb nicht meldepflichtig sind, weil deren erster Schritt vor dem 25.6.2018 umgesetzt wurde. Der erste Schritt der „Umsetzung“ dürfte als konkretes Handeln in Form der Realisierung eines bestimmten Sachverhalts zu verstehen sein. Dass die abstrakte Planung einer Gestaltung vor dem 25.6.2018 erfolgte, genügt daher nicht.
Wo muss die Meldung erfolgen?
Grundsätzlich kann es zur Meldepflicht in mehreren Staaten kommen, z. B. wenn außerhalb des Ansässigkeitsstaats eine Betriebsstätte durch den Intermediär unterhalten wird oder wenn der Intermediär in einem anderen Mitgliedstaat als seinem Ansässigkeitsstaat Mitglied einer berufsständischen Organisation ist. Nach Art. 8ab Abs. 3 Amtshilferichtlinie ergibt sich in diesen Fällen eine Vorrangregelung, der zufolge vorrangig im Ansässigkeitsstaat zu melden ist. Nach Art. 8ab Abs. 4 Amtshilferichtlinie ergibt sich in den anderen Staaten dann eine Befreiung von der Meldepflicht. Vergleichbare Vorrangregelungen enthält Art. 8ab Abs. 7 Amtshilferichtlinie im Fall der Meldepflicht der relevanten Steuerpflichtigen.
Welche Informationen muss die Meldung enthalten?
Art. 8ab Abs. 1 Amtshilferichtlinie schreibt vor, dass die den Intermediären „bekannten, in ihrem Besitz oder unter ihrer Kontrolle befindlichen Informationen über meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltungen“ zu melden sind. Diese Vorschrift ist denkbar weit und enthält keine weitergehende Konturierung. Aus Art. 8ab Abs. 9 und 10 Amtshilferichtlinie ergibt sich jedoch eine Meldepflicht der „Informationen gemäß Absatz 14“. Diese umfassen Angaben zu Intermediären und relevanten Steuerpflichtigen (u. a. Name, Ansässigkeit, Steueridentifikationsnummer und Angabe zu verbundenen Unternehmen), Einzelheiten zu den Kennzeichen, die zur Meldepflicht führen, eine Zusammenfassung der Gestaltung, Einzelheiten zu den nationalen Vorschriften, auf denen die Gestaltung basiert, Angaben zum Wert der Gestaltung, zu den betroffenen Mitgliedstaaten sowie zu den betroffenen Personen.
Was passiert, wenn gegen die Meldepflicht verstoßen wird?
Nach Art. 25a Amtshilferichtlinie erlassen die Mitgliedstaaten Sanktionen bei Verstößen gegen die Meldepflicht. Diese Sanktionen müssen „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein“.
Was geschieht mit den gemeldeten Informationen?
Die zuständige Behörde des Mitgliedstaats, in dem die Meldung erfolgte, übermittelt den zuständigen Behörden aller anderen Mitgliedstaaten im Wege eines automatischen Austauschs (Art. 8ab Abs. 13 Amtshilferichtlinie) die gemeldeten Informationen. Die Kommission richtet zudem ein Zentralverzeichnis ein, in dem die Informationen erfasst sind. Es soll eine Liste von Merkmalen und Elementen von Transaktionen entstehen, die stark auf Steuervermeidung oder Steuermissbrauch hindeuten.
Was ist jetzt zu tun und wie geht es weiter?
Wie oben beschrieben, gelten die Regelungen der Richtlinie grundsätzlich schon jetzt, weil ab dem 25.6.2018 angestoßene Gestaltungen nachzumelden sind. Da derzeit jedoch noch kein Umsetzungsgesetz vorliegt, bestehen Unsicherheiten hinsichtlich der zu meldenden Gestaltungen, insbesondere weil die Richtlinie an vielen Stellen nicht die erforderliche Klarheit schafft. Der deutsche Steuerpflichtige muss daher die Gestaltungen „sammeln“, bei denen er davon ausgeht, dass sie unter die Meldepflichten fallen.