BFH schränkt auch weiterhin Geltung des ermäßigten Steuersatzes bei gemeinnützigen Einrichtungen (§ 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG) ein
In beiden Urteilen bestätigt der BFH ausdrücklich frühere – allerdings wenig beachtete – Rechtsprechung, nach welcher der nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG ermäßigte Steuersatz für gemeinnützige Einrichtungen in der notwendigen unionskonformen Auslegungen nur für solche Leistungen gemeinnütziger Zweckbetriebe anzuwenden ist, die unmittelbar wohltätigen Zwecken dienen und im Bereich der sozialen Sicherheit erbracht werden.
Das er vor diesem Hintergrund Leistungen an nicht-bedürftige Dritte kritisch sieht, wird aus der zusätzlich am letzten Donnerstag veröffentlichten Pressemitteilung 76/2019 deutlich. Hierin heißt es:
- Betreibt ein gemeinnütziger Verein neben einer Werkstatt für behinderte Menschen ein der Öffentlichkeit zugängliches Bistro, in dem auch Menschen mit Behinderung arbeiten, unterliegen die Gastronomieumsätze des Bistros nicht dem ermäßigten Umsatzsteuersatz. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 23.07.2019 – XI R 2/17 entschieden. In der Folge werden viele gemeinnützige Einrichtungen entgegen derzeit allgemein geübter Praxis prüfen müssen, ob sie für die Umsätze ihrer Zweckbetriebe weiterhin den ermäßigten Steuersatz anwenden können.
- Der Kläger unterstützt als gemeinnütziger Verein Menschen mit Behinderung, die infolge ihres körperlichen, geistigen oder seelischen Zustands der Hilfe bedürfen. Seinem Begehren, die im öffentlichen Betrieb (Bistro und Toilette) erbrachten Umsätze mit dem ermäßigten Umsatzsteuersatz von 7% zu besteuern, weil auch behinderte Menschen dort arbeiten, folgte das Finanzamt nicht. Die Klage beim Finanzgericht (FG) blieb aufgrund fehlender Nachweise erfolglos.
- Demgegenüber verneint der BFH die Steuersatzermäßigung bereits dem Grunde nach. § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) stellt unter den dort näher bezeichneten Voraussetzungen darauf ab, dass der Zweckbetrieb entweder nicht in unmittelbarem Wettbewerb mit der Regelbesteuerung unterliegenden Unternehmern tätig ist oder mit dessen Leistungen die steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke selbst verwirklicht werden. Bei der Entscheidung hierüber sind zwingende Vorgaben des Unionsrechts im Bereich der Mehrwertsteuer zu beachten. Danach muss es sich um Leistungen von Einrichtungen handeln, die sowohl gemeinnützig als zusätzlich auch für wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit tätig sind.
- Diese Voraussetzungen waren im Streitfall nicht erfüllt. Zum einen war der Kläger mit seinen Gastronomieumsätzen in Wettbewerb zu anderen Unternehmern mit vergleichbaren Leistungen getreten. Zum anderen dienten die Gastronomieumsätze in erster Linie den Zwecken der Bistrobesucher und waren daher keine originär gemeinnützigen Leistungen. Allerdings verwies der BFH die Sache an das FG zurück, weil nicht ermittelt worden war, ob der ermäßigte Steuersatz aus anderen Gründen anzuwenden sein könnte (Abgabe von Speisen zur Mitnahme).
Wie sind die Urteile einzuordnen?
Insbesondere für Inklusionsbetriebe i.S.d. § 215 SGB IX wird angesichts der Ausführungen in Tz 21 des Urteils die weitere Anwendbarkeit des ermäßigten Steuersatzes neu zu prüfen sein. Der BFH hat ausdrücklich die in der Literatur vertretene Auffassung zurückgewiesen, dass die Schaffung von Beschäftigungsmöglichkeiten für benachteiligte Menschen bereits eine hinreichende unmittelbare Zweckverwirklichung sei. Danach könnten nur noch Leistungen unmittelbar an bedürftige Personen – die aber in der Regel ohnehin steuerbefreit sind – in den Anwendungsbereich der Vorschrift kommen.
Auch der verbleibende Anwendungsbereich der anderen gesetzlich vorgesehenen Möglichkeit (§ 12 Abs. 2 Buchstabe a Satz 3 1. Alternative: „wenn der Zweckbetrieb nicht in erster Linie der Erzielung zusätzlicher Einnahmen durch die Ausführung von Umsätzen dient, die in unmittelbarem Wettbewerb mit dem allgemeinen Steuersatz unterliegenden Leistungen anderer Unternehmer ausgeführt werden) ist unklarer denn je. Nach den Verhältnissen des Urteilsfalls ist fast keine Situation vorstellbar, in dem Umsatzerlöse nicht als schädliche zusätzliche Erlöse zu qualifizieren wären.
Die im Kern seit 2014 (siehe nachfolgend) einschränkende Auslegung des § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG durch den BFH hat die Finanzverwaltung bisher in zweifacher Hinsicht nicht nachvollzogen: Erstens wurden die Urteile nicht im Bundessteuerblatt veröffentlicht, was sie somit für die Verwaltung auch nicht zwingend anwendbar macht. Zweitens wurden die Urteile nicht in die expliziten Verwaltungsvorschriften aufgenommen. Im Umsatzsteueranwendungserlass (maßgeblichen Abschnitt 12.9 anbei) findet sich bis heute eine – bis auf Missbrauchsfälle – weite Auslegung des Anwendungsbereiches. Dieses entspricht im Grundsatz der Intention des nationalen Gesetzgebers, der den § 12 Abs. 2 Nr. 8 Satz 3 UStG 2006 in das Gesetz aufnahm. Gleichwohl entspricht dieses nach ständiger Rechtsprechung des BFH nicht dem übergeordneten europäischen Recht.
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Es ist daher zunächst abzuwarten, wie sich die Finanzverwaltung verhalten wird. Bisher sind keine Äußerungen bekannt geworden. Tatsächlich ist zumindest mittelfristig ein weiteres Ignorieren der Rechtsprechung denkbar – langfristig wird aber eine Umsetzung erforderlich werden. Die beiden aktuellen Urteile und die Pressemitteilung des BFH können daher auch so verstanden werden, dass das oberste Gericht seinen Unmut über das Ignorieren seiner Rechtsprechung zum Ausdruck bringt. Betroffenen Einrichtungen raten wir daher aus unternehmerischer Sicht, Preiskalkulationen mindestens mittelfristig so zu gestalten, dass die Anwendung des Regelsteuersatzes auf Leistungen an nicht-bedürftige Dritte auskömmlich bleibt.
In Ergänzung ist nochmals an das schon ältere BFH-Urteil v. 20.3.2014 – V R 4/13 zu erinnern, in dem klargestellt wird, dass die Steuerermäßigung im Bereich der Vermögensverwaltung aufgrund der Beschränkung auf wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit im Ergebnis nur für nichtunternehmerische (nichtwirtschaftliche) Tätigkeiten der gemeinnützigen Körperschaft anwendbar ist. A 12.9 Abs. 3 Satz 6 UStAE ist also nur unter Berücksichtigung dieser zusätzlichen Bedingung richtig auslegbar.