Persönliches Strafrisiko bei Steuerversäumnissen: Wegweisendes Schweizer Urteil zu konzerninternen Darlehen

Das Bundesgericht bestätigte die strafrechtliche Verantwortung des Verantwortlichen für Buchhaltungs- und Steuerfragen, der es versäumt hatte, der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) unaufgefordert konzerninterne Zinsen zu melden, die über den anerkannten Zinssätzen für Vorschüsse oder Darlehen lagen.

Dieses Urteil betrifft alle, die Verantwortung für Finanzen und Steuern im Unternehmen tragen. Es zeigt eindrücklich, wie wichtig proaktives Handeln und genaue Kenntnis steuerlicher Pflichten zur Vermeidung persönlicher Haftung sind. Dieser Beitrag liefert Ihnen das nötige Wissen für rechtssichere und vorausschauende Entscheidungen.

Strafrechtliche Haftung bei der Verrechnungssteuer auf konzerninterne Zinsen: Ein erhöhtes Risiko für Finanzverantwortliche

Das Wichtigste aus dem Entscheid

In seinem Urteil vom 3. Februar 2025 (BGer Urteil 6B_90/2024) bestätigt das Bundesgericht die strafrechtliche Verantwortung des Mitarbeiters, der für die buchhalterischen und steuerlichen Aspekte einer Gesellschaft zuständig war. Die Gesellschaft zahlte Zinsen, die von der Steuerbehörde als überhöht angesehen wurde. Worin bestand sein Vergehen? Er hatte es versäumt, der ESTV die überhöhten Zinsen unaufgefordert zu melden.

Was sind die Fakten?

  • Ein Unternehmen mit Sitz in der Schweiz erhielt im April 2011 von einem irischen Unternehmen derselben Gruppe ein Darlehen in Höhe von CHF 93 Mio. zu einem jährlichen Zinssatz von 3,15% für einen Zeitraum von fünf Jahren.
  • Die kantonale Steuerverwaltung des Kantons Waadt führte eine Buchprüfung der Schweizer Gesellschaft für die Jahre 2010 bis 2012 durch und informierte am 1. Juli 2014 den Business Controller der Schweizer Gesellschaft, dass „Steuerrisiken im Zusammenhang mit verdecktem Eigenkapital und gezahlten Zinsen auf konzerninterne Darlehen“ bestünden.
  • Nach dieser Warnung forderte der Business Controller des Unternehmens eine Steuerrisikoanalyse von einem Drittberater und eine Verrechnungspreisstudie an, um zu prüfen, ob der angewandte Zinssatz mit dem für konzerninterne Darlehen geltenden Fremdvergleichsgrundsatz (sog. „arm's length“) übereinstimmt. Diese Analyse kam zum Schluss, dass jeder Zinssatz zwischen 3,07% und 4,69% als mit dem Fremdvergleichsgrundsatz vereinbar angesehen werden sollte.
  • Die Steuerverwaltung des Kanton Waadt widersprach dieser Analyse und schlug vor, als Kompromiss einen Satz von 2,5% anzunehmen. Dieser Vorschlag wurde von der Gesellschaft im Januar 2015 angenommen und für die Steuerjahre 2011 bis 2016 wurde ein Satz von 2,5% angewendet.
  • Im Jahr 2015 führte die ESTV eine stichprobenartige Prüfung der Buchführung des Unternehmens durch und kam ihrerseits zu dem Schluss, dass ein Teil der von diesem Unternehmen verbuchten Zinsaufwendungen nicht wirtschaftlich gerechtfertigt war, und schlug dem Unternehmen vor, für die Jahre 2011 bis 2015 denselben Satz von 2,5% wie die Steuerverwaltung des Kantons Waadt, als Verrechnungssteuer einzubehalten.
  • Das Unternehmen zahlte die auf dieser Grundlage fällige Verrechnungssteuer im Juli 2016.
  • Im Jahr 2018 eröffnete die ESTV ein Verwaltungsstrafverfahren gegen Unbekannt in Anwendung von Art. 37 ff. des Bundesgesetzes über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR) wegen des Verdachts auf Verrechnungssteuerhinterziehung im Sinne von Art. 61 lit. a des Bundesgesetz über die Verrechnungssteuer (VStG), die in den Geschäftsjahren 2013 bis 2015 bei der Geschäftsführung der Gesellschaft begangen wurde.

Welche entscheidenden Elemente hat das Bundesgericht herangezogen, um die Verantwortung des Business Controllers festzuhalten?

Das Bundesgericht hielt fest, dass der Business Controller zumindest mit Eventualvorsatz gehandelt hatte, indem er nicht innerhalb von 30 Tagen nach der Genehmigung des Jahresabschlusses 2014 eine spontane Meldung der überhöhten Zinsen gegenüber der ESTV vornahm. Die entscheidenden Elemente:

  • Sein Hintergrund: Aus einer wirtschaftswissenschaftlichen Hochschulausbildung kommend und nach dem Austausch mit der Steuerverwaltung des Kantons Waadt konnte er im Juni 2015 nicht ignorieren, dass überhöhte Zinsen geldwerte Leistungen kennzeichnen, die der Verrechnungssteuer unterliegen.
  • Seine Rolle im Unternehmen: Einzige Person, die in der Schweiz in Buchhaltungs- und Steuerfragen aktiv ist und für die Erstellung und Unterzeichnung der Abschlüsse nach Bestätigung durch ihre Vorgesetzten zuständig ist.
  • Seine Autonomie: Unabhängige Handhabung von Buchhaltungs- und Steuerfragen, auch in Bezug auf die Beziehungen zur Steuerverwaltung des Kantons Waadt, deren Ansprechpartner er während der Prüfung war.

Punkte der Aufmerksamkeit

Diese Rechtsprechung erinnert daran, dass das VStrR vorsieht, dass, wenn eine Straftat bei der Geschäftsführung einer juristischen Person oder auf andere Weise bei der Ausübung einer Tätigkeit für einen Dritten begangen wird, die Strafbestimmungen auf die natürlichen Personen, die die Tat begangen haben, anwendbar sind (Art. 6 Abs. 1 VStrR).

Im vorliegenden Fall hatte der Business Controller "mit einer gewissen Autonomie die Buchführungs- und Steuerfragen verwaltet" und damit strafrechtlich im Sinne von Art. 6 Abs. 1 VStrR. 1 geantwortet.

Die strafrechtliche Verantwortung des dritten Beraters, der die Verrechnungspreisanalyse und -studie erstellt hatte, wurde hingegen vom Bundesgericht in einer anderen Entscheidung vom selben Tag (BGer Urteil 6B_93/2024) ausgeschlossen.

Was bedeutet dies in der Praxis?

Diese Rechtsprechung ist vor dem Hintergrund einer erhöhten Aufmerksamkeit der Steuerbehörden gegenüber den Steuerpraktiken internationaler Konzerne zu sehen. Sie ergänzt insbesondere die Rechtsprechung des Bundesgerichts vom 17. Juli 2024 im Bereich der Verrechnungsteuer.

Das Urteil erinnert an die Bedeutung des Fremdvergleichsgrundsatzes (sog. „arm's length“) bei konzerninternen Transaktionen und die Notwendigkeit erhöhter Wachsamkeit während des Zeitraums, in dem die Abschlüsse genehmigt werden müssen. Die Finanzverantwortlichen müssen sich des doppelten Risikos bewusst sein:

  • Ein steuerliches Risiko für das Unternehmen (Rücknahme von überhöhten Zinsen, Verzugszinsen)
  • Ein persönliches strafrechtliches Risiko für Mitarbeitende, die mit Steuerfragen betraut sind

Diese Entscheidung veranschaulicht auch die Anwendung des im Bereich der Verrechnungssteuer geltenden Prinzips der Selbstveranlagung, das ein proaktives Vorgehen des Steuerpflichtigen und seiner Vertreter erfordert.

Beitrag von Pauline Radovitch

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