BFH zur Auslegung des § 52 Abs. 2 S. 1 Nr. 24 AO

Gemeinnützigkeit bei Bereitstellung einer Online-Plattform zur politischen Teilhabe

Mit Urteil vom 12.12.2024 (V R 28/23) hat sich der Bundesfinanzhof (BFH) erstmals eingehend mit dem gemeinnützigkeitsrechtlichen Tatbestand der „Förderung des demokratischen Staatswesens“ nach § 52 Abs. 2 S. 1 Nr. 24 AO befasst. Gegenstand des Verfahrens war ein eingetragener Verein, dessen Satzungszweck auf die Förderung des demokratischen Staatswesens gerichtet war und der zur Verwirklichung dieses Zwecks eine Online-Plattform betrieb, auf der Dritte Petitionen und Kampagnen zur elektronischen Abstimmung einstellen konnten.

Sachverhalt

Das Finanzamt versagte die Steuerbefreiung nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG mit der Begründung, dass der Verein nach seiner tatsächlichen Geschäftsführung nicht ausschließlich steuerbegünstigte Zwecke verfolge. Die Plattform diene nur dann der Förderung des demokratischen Staatswesens, wenn sie ausschließlich Anliegen erfasse, die sich im Sinne des Art. 17 GG an staatliche Stellen richteten. Die Unterstützung von Anliegen gegenüber nicht staatlichen Adressaten sei nicht gemeinnützig.

Das Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg gab der dagegen gerichteten Klage statt und stellte fest, dass die Tätigkeit des Vereins auf die allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens gerichtet sei. Die Förderung der Meinungsfreiheit und der demokratischen Teilhabe sei auch dann gemeinnützig, wenn sie sich nicht ausschließlich auf staatliche Adressaten beziehe. Der BFH hob das Urteil des FG auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurück.

Entscheidung des BFH

Dabei stellte der Senat klar, dass der Begriff des „demokratischen Staatswesens“ im Sinne des § 52 Abs. 2 S. 1 Nr. 24 AO unter Berücksichtigung der Strukturprinzipien des Art. 20 GG auszulegen ist. Maßgeblich sei die freie, offene und unreglementierte politische Willensbildung in Bezug auf die Ausübung der Staatsgewalt. Eine Förderung dieses staatsfreien Willensbildungsprozesses könne grundsätzlich auch durch die Bereitstellung einer Online-Plattform erfolgen, sofern deren Betreiber die dort zur Abstimmung gestellten Anliegen parteipolitisch neutral und ohne inhaltliche Wertung fördere.

Nicht gemeinnützig sei hingegen die Förderung einzelner politischer Auffassungen oder die Einflussnahme auf die Gestaltung der öffentlichen Meinung im Sinne eines allgemeinen politischen Mandats. Der BFH betont insoweit die Notwendigkeit geistiger Offenheit und parteipolitischer Neutralität. Die Auswahl unterstützter Anliegen dürfe nicht auf deren Reichweite oder Resonanz beruhen, da dies eine unzulässige Parteinahme darstellen könne. Auch die Ablehnung rechtswidriger Inhalte müsse auf transparenten und gemeinnützigkeitskonformen Kriterien beruhen.

Die zur Abstimmung gestellten Anliegen müssten geeignet sein, auf die öffentliche Meinungsbildung in Bezug auf die Ausübung von Staatsgewalt Einfluss zu nehmen. Dabei könne es sich um beliebige Themen handeln, die grundsätzlich Gegenstand einer parlamentarischen Befassung sein können. Anliegen, die ausschließlich private Interessen betreffen – vor dem FG wurde etwa auf die Kündigung eines Mietvertrags zwischen Privatrechtssubjekten oder Boykottaufrufe gegenüber Unternehmen verwiesen – genügten diesen Anforderungen nicht. Zwar seien solche Inhalte von der Meinungsfreiheit gedeckt, sie stellten jedoch keine Förderung der Allgemeinheit im Sinne des Gemeinnützigkeitsrechts dar.

Insbesondere sei zu prüfen, ob die angewendeten Auswahlkriterien die notwendige geistige Offenheit gewährleisten und ob die Unterstützung einzelner Anliegen mit der parteipolitischen Neutralität vereinbar sei.

Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidung hat über den Einzelfall hinaus Bedeutung für gemeinnützige Organisationen; insbesondere – aber nicht nur – für solche, die digitale Beteiligungsformate zur politischen Teilhabe anbieten. Sie konkretisiert die Anforderungen an die gemeinnützige Förderung des demokratischen Staatswesens und grenzt diese klar von politischer Betätigung ab. Gemeinnützige Organisationen, welche sich auf den Satzungszweck der „Förderung des demokratischen Staatswesens“ stützen, sollten daher im Lichte dieser Entscheidung kritisch prüfen (lassen), inwieweit ihre tatsächliche Arbeit den betonten Anforderungen der geistigen Offenheit und parteipolitischen Neutralität genügt.

Autor: Christian Hassa

Dies ist ein Beitrag aus unserem Public Sector Newsletter 3-2025. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.

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