Deutschland erlebt das dritte Rezessionsjahr in Folge. Hoffnung setzten viele Wirtschaftsvertreter*innen daher auf den Start der neuen Bundesregierung. Wie lässt sich das Wirtschaftswachstum wieder ankurbeln? Und welchen Beitrag können dabei besonders junge Unternehmen im Verbund mit etablierten Firmen leisten? Fragen an Christoph J. Stresing, Geschäftsführer des Bundesverbandes Deutsche Startups e. V. in Berlin.
Herr Stresing, wie blicken Sie als Vertreter der deutschen Start-up-Szene auf den Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD?
Er enthält viele gute Anknüpfungspunkte für eine erfolgreiche Start-up-Politik in den nächsten vier Jahren. Gerade in dem Teil, der sich mit unserer Forschungslandschaft und Entrepreneurship in unseren Hochschulen beschäftigt, ist Start-up-Spirit erkennbar. Entscheidend wird sein, wie viel Priorität die neue Bundesregierung den Zukunftsthemen dann im Regierungshandeln tatsächlich beimisst.
Welche Punkte finden Ihre Zustimmung? Wo sehen Sie deutliche Luft nach oben?
Der Wirtschaftsteil des Koalitionsvertrags beginnt mit Start-ups. Das ist kein Zufall, sondern unterstreicht die große Bedeutung von Start-ups für unsere Volkswirtschaft. Mit der Verstetigung und dem Ausbau des Zukunftsfonds, der Weiterentwicklung der WIN-Initiative, schnellem IP (Intellectual Property)-Transfer bei Ausgründungen, mehr Entrepreneurship an Hochschulen und „Startup in a day“, das heißt der Unternehmensgründung innerhalb von 24 Stunden, werden konkrete Start-up-spezifische Anliegen aufgegriffen. Das ist sehr positiv. Auch das neue Bundesministerium für Digitalisierung und Staatsmodernisierung begrüßen wir. Insgesamt wird wichtig sein, eine konsistente Start-up- und Scale-up-Politik zu gewährleisten. Das bedeutet unter anderem klare Zuständigkeiten und effiziente Entscheidungswege. Darüber hinaus kommt es darauf an, strukturelle Reformen endlich anzupacken. Das gilt zum Beispiel für die Reform der Altersvorsorge. Hier verschiebt der Koalitionsvertrag Entscheidungen in die Zukunft.
Sie haben mit Ihrem Verband eine „Innovationsagenda 2030“ verfasst. Das soll nach Ihren Worten ein positives Papier sein, das trotz aller Herausforderungen und großen Krisen ein Bekenntnis zum Standort D ist und damit aufräumen will, dass „früher alles besser war“. Können Sie in wenigen Sätzen herausarbeiten, was Sie an Reformen vorschlagen?
Kern der Innovationsagenda 2030 ist der Fokus auf unsere Stärken und Potenziale. Wir sind mit rund 80 Millionen Menschen die drittstärkste Volkswirtschaft: Das ist doch was! Unsere großen Potenziale aus einer international herausragenden Forschungslandschaft und der starken industriellen Basis müssen wir aber viel besser nutzen. Gerade für Deeptech-Start-ups haben wir grundsätzlich gute Voraussetzungen. Die Agenda zeigt, wo wir uns mit bürokratischen Auflagen selbst im Weg stehen. Das ist ja alles nicht naturgegeben. Aktuell ist der Staat leider viel zu oft eher Innovationsbremse. Wir machen konkrete Vorschläge, wie der Staat selbst zum Innovationsmotor werden kann. Das beginnt bei attraktiven Regeln für die öffentliche Vergabe und staatlichen Behörden als Ankerkunden im Bereich Deeptech, etwa bei der Kernfusion oder auch der Raumfahrt. Zudem müssen wir als Standort für internationale Toptalente viel attraktiver werden. Und natürlich ist es entscheidend, insgesamt mehr Kapital, insbesondere privates Kapital von institutionellen Investoren, für Venture Capital und die Start-up-Finanzierung zu mobilisieren.
Welche Hebel gibt es, um das private und institutionelle Kapital dieses Landes für Innovation und Wachstum besser nutzbar zu machen?
Die Anlageklasse Venture Capital ist bei institutionellen Investoren in der Breite noch immer nicht angekommen: Aktuell legen zum Beispiel deutsche Versicherungen nur etwa 0,3 % ihres Anlagevolumens in Wagniskapital an. Wir müssen daher mehr Anreize für entsprechende Investitionen schaffen. Das beginnt bei mehr Transparenz über die Performance von VC-Fonds. Hier geht der European Investment Fund (EIF) jetzt in die Offensive. Italien setzt seit Kurzem auf steuerliche Anreize. Letztlich wird es nur mit einem Bündel an Maßnahmen gelingen, das auch regulatorische Vereinfachungen beinhaltet. Mit der von der KfW koordinierten WIN-Initiative, die auf die Mobilisierung von privatem Kapital abzielt, wurden wichtige erste Schritte gegangen. Eine neue Bundesregierung sollte hier unbedingt anknüpfen. In den 1950er- und 1960er-Jahren haben wir 3 bis 4 % des Bruttoinlandsprodukts für Wachstumsfinanzierung aufgebracht. Wenn wir in den nächsten fünf Jahren auf 1 % VC-Anteil am BIP kommen, wäre schon viel erreicht. Das ist ambitioniert, aber nicht unerreichbar.
Wie holen wir mehr aus der Spitzenforschung an unseren Hochschulen heraus und bringen die wissenschaftlichen Erkenntnisse verstärkt in die Praxis?
Wir müssen den Transfer als dritte, gleichberechtigte Säule neben Forschung und Lehre stärken und wir müssen mehr auf Ausgründungen setzen. Das setzt voraus, dass Entrepreneurship eine größere Rolle spielt – bei Student*innen und Professor*innen. Dafür brauchen wir gezielte Anreize und teilweise ein Umdenken in den Hochschulen. Das heißt, dass Gründungsaktivitäten bei dem Ruf von Professor*innen eine Rolle spielen sollten oder auch die Anzahl von Ausgründungen zum Bewertungsmaßstab wird. Zudem fordern wir, dass alle Hochschulen mindestens 1 % ihres Gesamtbudgets für Ausgründungen verwenden. Aktuell läuft der Leuchtturmwettbewerb „Startup Factories“ beim Bundeswirtschaftsministerium, in dessen Rahmen bis zu zehn Hochschulen beziehungsweise Hochschulverbünde ausgewählt werden. Das ist ein weiterer wichtiger Schritt, um Forschung, Hochschule und Entrepreneurship gezielt zusammenzubringen. UnternehmerTUM in München macht das seit vielen Jahren sehr erfolgreich vor.
KI wird die Zukunft der deutschen Unternehmen maßgeblich prägen. An der Seite anderer europäischer Start-up-Verbände machen sie sich stark für eine führende Rolle Europas auf dem Feld der KI. Was genau planen Sie?
Wichtig ist, die Chancen zu sehen, die die Nutzung von KI mit sich bringt. Zu oft ist KI bei uns noch einseitig negativ konnotiert. Das führt nicht selten zu Reflexen, die dann wenig sachgerecht sind. Insofern geht es schon grundsätzlich um die Frage, wie wir neuen Technologien begegnen. Eine zentrale Rolle spielt auch hier die Finanzierung. Es ist ein starkes Ungleichgewicht zwischen Deutschland und Europa einerseits und den USA andererseits entstanden. Das Unternehmen OpenAI allein hat in den vergangenen Jahren mehr Wagniskapital eingesammelt, als in Deutschland insgesamt investiert worden ist. Das bleibt nicht folgenlos. Zudem müssen wir die Anwendung von KI erleichtern und bestehende Rechtsunsicherheiten ausräumen. Konkret bedeutet das, dass der europäische AI Act bei uns schnell und möglichst schlank umgesetzt werden muss. Gerade im Bereich KI bestehen in der Kooperation von etablierter Wirtschaft und Start-ups riesige Potenziale. Die sollten wir unbedingt nutzen. Gleiches gilt auch für die Verwaltung, die in den nächsten Jahren den demografischen Wandel stark spüren wird.
In der Öffentlichkeit wird über Start-ups immer noch viel in Abgrenzung zu etablierten Unternehmen berichtet. Wie gut klappt Ihrer Einschätzung nach mittlerweile die Zusammenarbeit zwischen etablierten Tankern und den Schnellbooten aus der Start-up-Szene? Was läuft gut, was noch nicht?
Nach unseren Zahlen sind die Kooperationen in letzter Zeit leider zurückgegangen. Das ist keine gute Entwicklung. Eine Ursache dafür liegt vermutlich im aktuell schwierigen wirtschaftlichen Umfeld. In der Folge sind etablierte Unternehmen zurückhaltender geworden und sparen Kosten. Das ist der Blick aus der Vogelperspektive. Aber natürlich gibt es viele Beispiele, wo die Zusammenarbeit super funktioniert und beide Seiten davon profitieren. Wie Sie sagen: Tanker gewinnen dank Schnellbooten an Geschwindigkeit. Und die Schnellboote bekommen Aufträge, Referenzen und Umsätze. Das ist ein absolute Win-win-Situation. Gerade für das Industrieland Deutschland und B2B-Start-ups gibt es hier viel unausgeschöpftes Potenzial.
Wie können etablierte und junge Firmen noch besser kooperieren, um beim Tempo der Transformation mitzuhalten?
Die Kooperation ist kein reiner Selbstzweck, sondern sollte für beide Seiten messbare Vorteile bringen. Aufseiten der etablierten Wirtschaft setzt das voraus, sich entsprechend zu öffnen und auch bestehende Geschäftsmodelle infrage zu stellen. Im Kern sind Start-ups Problemlöser. Corporates und Mittelstand können davon profitieren, um zum Beispiel ihre Verfahren zu beschleunigen oder zu vereinfachen. Dieser beidseitige Mehrwert sollte insgesamt stärker in den Fokus gestellt werden.
Unser Medium richtet sich primär an Entscheider*innen in Aufsichts- und Beiräten. Was können diese Profis konkret dazu beitragen, dass mehr Start-up-Geist in die großen Unternehmen einkehrt?
Das Lesen dieses Interviews ist ja schon ein Schritt. Im Ernst: Gerade wenn es um strategische Fragestellungen im Unternehmen geht, zum Beispiel um Fragen der möglichen Akquisition von Start-ups, können sie einen konkreten Beitrag leisten und die Unternehmensführung ermutigen, neue Wege zu gehen. Auch in puncto Mentalität und Fehlerkultur können und sollten sie sich aktiv einbringen. Im Kern geht es darum, die eigenen Geschäftsmodelle auf den Prüfstand zu stellen. Das kann kurzfristig unangenehm sein, im Zweifel aber auch entscheidend für die Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit des Unternehmens.
Ein herausforderndes Marktumfeld, regulatorische Änderungen oder Optimierungen vorhandener Strukturen und Prozesse – es gibt zahlreiche Anlässe für neue Projekte in Unternehmen. Doch gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Ein professionelles Projektmanagement verhindert, den Überblick zu verlieren und Ressourcen zu verschwenden.
Während andere nur klagen, sieht Tech-Pionier Josef Brunner immer neue Möglichkeiten. Auch für die Zukunft des Standorts Deutschland ist der Seriengründer bedingt optimistisch. Von Unternehmer*innen wünscht er sich nur mehr Mut, von Aufsichtsräten und Vorständen noch mehr Miteinander – und von der Politik vor allem eines: Bürokratieabbau.
Der Mittelstand steckt in der Krise – und mit ihm der Glaube an den Standort Deutschland. Professor Peter May berät familiengeführte Unternehmen, kennt ihre Sorgen und beobachtet eine wachsende Resignation. Im Board-Briefing-Interview analysiert er die Ursachen, kritisiert politische Versäumnisse – und erklärt, was die neue schwarz-rote Bundesregierung jetzt tun muss, damit die Wende gelingt.
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