EuGH zur Kombination von Vorsteuerversagung und Haftung
Kombination von Vorsteuerversagung und Haftung
Sachverhalt
FAU, eine tschechische Gesellschaft, bezog Kraftstoff von Verami, einer weiteren tschechischen Gesellschaft. Als sich herausstellte, dass die Handelskette von Steuerhinterziehung betroffen war, versagte das Finanzamt der FAU den Vorsteuerabzug aus dem Kraftstoffkauf von Verami. Darüber hinaus nahm das Finanzamt FAU für die von Verami nicht entrichtete MwSt in Haftung, nachdem die Beitreibung der Umsatzsteuer bei Verami gescheitert war. Die Behörde stützte sich dabei auf eine nationale Vorschrift, nach der der Leistungsempfänger u. a. dann gesamtschuldnerisch für die Umsatzsteuer haftet, wenn der Leistende sie nicht abgeführt hat und wenn die Zahlung für diese Leistung ganz oder teilweise durch bargeldlose Überweisung auf ein von einem Zahlungsdienstleister außerhalb des tschechischen Hoheitsgebiets eröffnetes Konto erfolgt.
Das tschechische Gericht legte dem EuGH die Frage vor, ob es mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar sei, zusätzlich zur Versagung des Vorsteuerabzugs den Leistungsempfänger in Haftung zu nehmen, sodass FAU die Mehrwertsteuer auf die Lieferung von Verami zweimal entrichten muss. Es wies dabei darauf hin, dass die genannte Haftungsvorschrift nach Auslegung der tschechischen Gerichte nur dann angewendet werden dürfe, wenn weitere Umstände vorliegen, aus denen sich eindeutig ergebe, dass der potenzielle Haftungsschuldner gewusst habe oder hätte wissen müssen, dass die ins Ausland gerichtete Zahlung gerade der Steuerhinterziehung gedient habe. Dies sei bei FAU der Fall gewesen.
EuGH-Entscheidung
Der EuGH prüft zunächst getrennt voneinander die Zulässigkeit der Inhaftungnahme und der Vorsteuerversagung und erst dann die Zulässigkeit der Kombination beider Maßnahmen.
Artikel 205 der MwStSystRL erlaube es im Hinblick auf eine wirksame Erhebung der Mehrwertsteuer, eine andere Person als den Leistenden zum Steuerschuldner zu machen. Die Vorschrift regele aber weder, wen die Mitgliedstaaten heranziehen können, noch, in welchen Fällen sie dies tun dürfen. Es sei daher Sache der Mitgliedstaaten, die Modalitäten festzulegen. Sie müssen dabei aber die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit beachten. Die Maßnahmen dürfen dabei darauf abzielen, die Ansprüche der Staatskasse möglichst wirksam zu schützen, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlange aber, dass sie nicht darüber hinausgehen, was hierzu erforderlich ist.
Der EuGH verweist auf seine frühere Entscheidung in der Rechtssache Dranken Van Eetvelde (C-331/23), nach der die Finanzbehörden das Recht haben, eine Person als Haftungsschuldner heranzuziehen, die im Zeitpunkt der an sie bewirkten Lieferung wusste oder hätte wissen müssen, dass die für diesen oder einen früheren oder späteren Umsatz geschuldete Steuer unbezahlt bleiben wird. Dabei darf sich die Behörde auf Vermutungen stützen, solange diese nicht so formuliert sind, dass es für den Haftungsschuldner praktisch unmöglich oder übermäßig schwierig wird, sie zu widerlegen.
Den Akten sei nicht zu entnehmen, dass FAU die Möglichkeit genommen worden wäre, nachzuweisen, dass sie alle Maßnahmen getroffen habe, die vernünftigerweise von ihr verlangt werden können, um sicherzustellen, dass ihre Umsätze nicht zu einer missbräuchlichen oder betrügerischen Lieferkette gehörten. Unter diesen Umständen dürfe das Finanzamt FAU in Haftung nehmen. Der EuGH fügt hinzu, dass FAU nach tschechischem Zivilrecht Verami in Regress nehmen könne. Dass der Regress wegen der Insolvenz wenig erfolgversprechend sei, spiele keine Rolle. Müsste die Finanzverwaltung die Erfolgsaussichten einer Regressklage prüfen, würde die wirksame Erhebung der Mehrwertsteuer zu sehr erschwert.
Den Vorsteuerabzug zu versagen, sei in einer Konstellation wie der vorliegenden die Pflicht des Finanzamts. Diese weitgehende Versagung bei Kenntnis oder möglicher Kenntnis von der Einbindung in eine Steuerhinterziehung solle die Steuerpflichtigen zu der notwendigen Sorgfalt anhalten, die vernünftigerweise bei jedem wirtschaftlichen Vorgang verlangt werden könne, um sicherzustellen, dass die vom Steuerpflichtigen bewirkten Umsätze nicht zu ihrer Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führen.
FAU dürfe unabhängig davon in Haftung genommen werden, dass ihr bereits das Recht auf Vorsteuerabzug versagt wurde. Wollte man die Haftung nur zulassen, wenn das Recht auf Vorsteuerabzug bestanden habe, würden gutgläubige Steuerpflichtige gegenüber bösgläubigen benachteiligt, denn wer das Recht auf Vorsteuerabzug hat, muss gutgläubig gewesen sein. Durch die Kombination beider Maßnahmen bereichere sich die Finanzverwaltung auch nicht in ungerechtfertigter Weise, denn sie beschränke sich auf Maßnahmen, um die Zahlung der verschiedenen ihr von beiden Steuerpflichtigen geschuldeten Mehrwertsteuerbeträge zu erhalten. Als weitere Begründung für die gleichzeitige Anwendung beider Maßnahmen führt der EuGH an, die Versagung des Vorsteuerabzugs und die Inhaftungnahme verfolgen unterschiedliche und einander ergänzende Ziele, die darin bestehen, die Steuerhinterziehung zu bekämpfen und die wirksame Steuererhebung durch die Staatskasse zu gewährleisten.
Einordnung
Der EuGH nimmt hier die Doppelbelastung mit Umsatzsteuer bewusst in Kauf. Ob dies gerechtfertigt erscheint, hängt von der Sichtweise ab. Betrachtet man die Ausgangsumsatzsteuer der Verami und den Vorsteuerabzug der FAU als ein- und dieselbe Steuer, kann man die Doppelbesteuerung als systemwidrig ansehen. Die EuGH-Rechtsprechung tendiert aber offenbar dazu, unredliche Marktteilnehmer vom System auszuschließen.
Autorin: Nadia Schulte