Periodische Druckschriften müssen nicht aus Text bestehen

Am 1. August 2025 entschied der EuGH (C-375/24) in der Rechtssache Keesing Deutschland GmbH, dass auch Zahlen-Sudoku-Hefte ermäßigt unter die Position 4902 der KN fallen und damit in Deutschland ermäßigt zu besteuern sind, obwohl sie keinen qualifizierten Text enthalten.

Sachverhalt

Die Keesing Deutschland GmbH vertrieb im Abstand von etwa acht Wochen geklammerte Zahlen-Sudoku-Rätselhefte mit einem Vorwort, einem Impressum, einer Erklärung der Sudoku-Regeln und 88 Sudoku-Rätseln. Die Rätsel bestanden aus Gittermustern, in die bereits einige Zahlen voreingetragen waren, und die nach bestimmten Regeln durch weitere Zahlen vervollständigt werden müssen. Keesing wandte auf den Verkauf der Hefte den ermäßigten Umsatzsteuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. Anlage 2 Nr. 49 Buchstabe b UStG an, weil sie der Auffassung war, es handele sich um periodische Druckschriften, die unter die Position 4902 der Kombinierten Nomenklatur (KN) fallen.

Das Finanzamt argumentierte jedoch, es liege keine Druckschrift vor, weil die Rätselhefte keinen qualifizierten Text enthalten. Sie seien daher als „andere Drucke, einschließlich Bilddrucke und Fotografien“ in die Position 4911 der KN einzureihen, die in Anhang 2 zum UStG nicht genannt sei. Die Sudoku-Hefte seien daher mit dem Regelsatz von 19 % zu besteuern.

Das Finanzgericht legte dem EuGH die Frage vor, ob die Position 4902 der KN ein vorwiegend aus Buchstabenfolgen bestehendes Druckerzeugnis erfordere, sodass Zahlen-Sudokus nicht unter diese Position subsumiert werden können. Für den Fall, dass die Sudoku-Hefte nicht unter diese Position fallen, sollte geklärt werden, ob es die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Neutralität erfordern, die Zahlen-Sudokus wie Buchstaben-Sudokus und Kreuzworträtselhefte ermäßigt zu besteuern.

Hintergrund

Art. 98 Abs. 1 und 2 der MwStSystRL erlauben es den Mitgliedstaaten der EU, einen oder zwei ermäßigte Steuersätze auf die Lieferung von Gegenständen anzuwenden, die in Anhang III zur MwStSystR genannt sind. Nach Nr. 6 dieses Anhangs III können (mit Einschränkungen) u. a. Bücher, Zeitungen und Zeitschriften ermäßigt besteuert werden. Nach Art. 98 Abs. 3 MwStSystRL können die Mitgliedstaaten die Kategorien der zu befreienden Gegenstände anhand der sogenannten Kombinierten Nomenklatur (KN) abgrenzen. Deutschland hat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und im Anhang 2 zu § 12 Abs. 2 UStG die Gegenstände, deren Lieferung ermäßigt besteuert wird, nach der KN kategorisiert.

Die KN ist das zentrale Instrument der Europäischen Union zur Einreihung von Waren im Rahmen des Zollwesens und der Außenhandelsstatistik. Sie wurde durch die Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 eingeführt und basiert auf dem Harmonisierten System (HS) der Weltzollorganisation, erweitert um EU-spezifische Unterteilungen. Das Harmonisierte System ist Gegenstand eines internationalen Übereinkommens, in dem sich die Vertragsparteien verpflichtet haben, ihre Zolltarifnomenklatur und ihre Statistiknomenklaturen mit dem HS in Übereinstimmung zu bringen. Das Übereinkommen enthält Erläuterungen u. a. zu Kapitel 49 des HS, das sich mit Druckerzeugnissen befasst. Die Schlussformel des Übereinkommens stellt klar, dass die französische und die englische Sprachfassung des Übereinkommens gleichermaßen verbindlich sind.

EuGH-Entscheidung

Da der deutsche Gesetzgeber von der Möglichkeit Gebrauch gemacht habe, die Abgrenzung der ermäßigt zu besteuernden Gegenstände nach der KN vorzunehmen, falle es unter die Aufgaben des EuGH, dem deutschen Gericht die Kriterien für die Einreihung vorzugeben. Dabei seien der Wortlaut der Positionen und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln maßgeblich. Dazu stellt der EuGH zunächst Unterschiede in der französischen, englischen und deutschen Sprachfassung fest. Übersetzt lauten diese:

  • Französisch: Zeitschriften und regelmäßig veröffentlichte Druckerzeugnisse, auch mit Bildern oder Werbung.
  • Englisch: Zeitungen, Zeitschriften und Periodika, auch mit Bildern oder Werbung enthaltend
  • Deutsch: Zeitungen und andere periodische Druckschriften, auch mit Bildern oder Werbung enthaltend

Bei abweichenden Sprachfassungen sei eine Vorschrift nach dem wirklichen Willen des Urhebers und dem verfolgten Zweck auszulegen. Der Zweck der KN sei die unveränderte Umsetzung des Harmonisierten Systems. Da die Schlussformel des Übereinkommens zum HS vorsehe, dass die französische und englische Sprachfassung verbindlich seien, sei bei der Auslegung von Position 4902 der KN ebenfalls als Erstes auf diese Sprachfassungen abzustellen. Diese sprechen von „Druckerzeugnissen“; diese Formulierung lasse nicht darauf schließen, dass sie vorwiegend aus Text bestehen müssen. Zudem sollen laut den Erläuterungen zur entsprechenden Position des HS die Druckerzeugnisse „meistens“ gedruckten Text enthalten, was darauf schließen lasse, dass auch Druckerzeugnisse mit anderen als textlichen Inhalten erfasst seien.

Erst im zweiten Schritt seien für die Auslegung sämtliche Amtssprachen der Union zu vergleichen. Dieser Vergleich habe ergeben, dass lediglich in der deutschen Fassung von „Druckschriften“ die Rede sei.

Insgesamt können die Sudoku-Hefte daher in Position 4902 der KN eingereiht werden. Auf die Frage, ob anderenfalls eine ermäßigte Besteuerung aufgrund der Grundsätze der Neutralität und der Gleichbehandlung geboten sei, kam es damit nicht mehr an.

Einordnung

Das EuGH-Urteil ist in zweierlei Hinsicht interessant:

Zum einen stellt es klar, dass dem Wortbestandteil „Schrift“ nicht entnommen werden kann, dass es sich um Text handeln muss. Es kommen Alphabete und Zahlensysteme aller Art, Kurzschriftzeichen, Morse- oder ähnliche Codezeichen, Blindenschrift, Musiknoten etc.

Zum anderen legt sich der EuGH hier darauf fest, dass auch bei der Auslegung der KN die französische und die englische Sprachfassung Vorrang haben. Dabei nimmt er auf ein fast dreißig Jahre altes EuGH-Urteil Bezug: auf die Entscheidung in der Rechtssache Knubben Spedition, C-143/96, vom 9. Dezember 1997, Textziffer 15. Soweit ersichtlich, hatte der EuGH diesen Grundsatz seitdem nicht mehr angewendet.

 
Autorin: Nadia Schulte

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