Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen der Abschaffung der Ausschreibungspflicht für Hilfsmittel durch das TSVG

08.10.2019 – Das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) ist am 13.3.2019 vom Bundestag beschlossen worden (vgl. Mazars, Newsletter Health Care 1/2019, S. 3 f.). Im TSVG ist die Abschaffung der Ausschreibungspflicht für Hilfsmittel (z. B. Gehhilfen, Inkontinenzprodukte) geregelt. Stattdessen ist in § 127 SGB V geregelt, dass Hilfsmittel „im Wege von Vertragsverhandlungen“ beauftragt werden können.

Zur Begründung für den Verzicht auf eine Ausschreibung von Hilfsmitteln ist in den Dokumenten zum Gesetzgebungsverfahren ausgeführt (vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache 19/8351, zu Nummer 68 (§ 127) zu Buchstabe a, S. 202):

„Um negativen Auswirkungen von Ausschreibungsverträgen der Krankenkassen auf die Qualität der Hilfsmittelversorgung entgegen zu wirken, hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung (Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz – HHVG) den Krankenkassen und Leistungserbringern verschiedene Vorgaben zu einer stärkeren Berücksichtigung von Qualitätsaspekten beim Abschluss von Verträgen zur Hilfsmittelversorgung gemacht. Dazu gehören insbesondere das Verbot von Ausschreibungen bei Versorgungen mit einem hohen Dienstleistungsanteil und die Vorgabe an die Krankenkassen, bei Hilfsmittelausschreibungen in den Leistungsbeschreibungen und bei den Vergabekriterien qualitative Aspekte angemessen zu berücksichtigen. Zwischenzeitlich hat sich aber gezeigt, dass die praktische Umsetzung des Gesetzes vielfach nicht den Zielen des Gesetzgebers entspricht. Zu dem erhofften Qualitätswettbewerb im Rahmen von Ausschreibungen ist es nicht gekommen. Angesichts der nach wie vor bestehenden Risiken durch Ausschreibungen für die Versorgungsqualität wird die Ausschreibungsoption in § 127 Absatz 1 aufgehoben.

Der Gesetzgeber ist unionsrechtlich nicht dazu verpflichtet, Beschaffungsvorgänge wettbewerblich auszugestalten (Artikel 168 Absatz 7 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union – AEUV), und kann daher ein sozialrechtliches Beschaffungsverfahren vorsehen, das nicht den formellen Vorgaben des Vergaberechts unterliegt. Die Krankenkassen haben künftig die Hilfsmittelversorgung ihrer Versicherten grundsätzlich im Wege von Rahmenverträgen mit Beitrittsmöglichkeit sicherzustellen. Zudem können Krankenkassen weiterhin im Ausnahmefall Einzelvereinbarungen schließen, wenn der Aufwand für eine Vertragsanbahnung nach Absatz 1, etwa wegen des besonderen Versorgungsbedarfs eines Versicherten, wirtschaftlich nicht zweckmäßig wäre. Da die Ausschreibungsoption gestrichen wird, bedarf es auch keiner gemeinsamen Empfehlungen zur Zweckmäßigkeit von Ausschreibungen mehr.“

Die EU-Kommission hat mit Übersendung eines Aufforderungsschreibens am 25.7.2019 Deutschland aufgefordert, das Verbot öffentlicher Vergabeverfahren für medizinische Hilfsmittel aufzuheben (vgl. Link). Hierdurch wurde eins von 17 neuen Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. Die Kommission folgt damit der deutschen Argumentation nicht und führt aus:

„Die Kommission hat heute beschlossen, ein zusätzliches Aufforderungsschreiben bezüglich der Umsetzung der EU-Vorschriften für das öffentliche Auftragswesen (Richtlinien 2014/23/ EU, 2014/24/EU und 2014/25/EU) an Deutschland zu richten. Eine neue Bestimmung des deutschen Rechts verpflichtet die gesetzlichen Krankenkassen, ihre Verträge über medizinische Hilfsmittel mit interessierten Anbietern auszuhandeln, und verbietet es ihnen, spezielle und flexible Verfahren anzuwenden, die in den Vergaberichtlinien festgelegt sind.

Die genannten Richtlinien ermöglichen es öffentlichen Auftraggebern wie gesetzlichen Krankenkassen, hohe Qualitätsstandards zu wettbewerbsfähigen Preisen zu erreichen. Indem sie die Grundsätze der Gleichbehandlung, der Transparenz und der Nichtdiskriminierung für alle Marktteilnehmer anwenden, gewährleisten sie einen unverfälschten Wettbewerb. Die deutschen gesetzlichen Krankenkassen geben jährlich etwa 8 Milliarden Euro für medizinische Hilfsmittel aus. Die Kommission ist der Auffassung, dass das Verbot den gesetzlichen Krankenkassen gegenüber, diese Verfahren für medizinische Hilfsmittel zu nutzen, der EU-Richtlinie über die Vergabe öffentlicher Aufträge (Richtlinie 2014/24/EU) zuwiderläuft. Deutschland hat nun zwei Monate Zeit, um auf die von der Kommission vorgebrachten Beanstandungen zu reagieren. Andernfalls kann die Kommission beschließen, eine mit Gründen versehene Stellungnahme zu übermitteln.“

Es bleibt abzuwarten, wie Deutschland reagiert und wie dieser Konflikt gelöst wird. Wir werden über den Fortgang des Verfahrens berichten.

Dies ist ein Beitrag aus unserem Health-Care-Newsletter 2-2019. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.

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