Der Ukraine-Krieg hat die Sicherheitslage in Europa grundlegend verändert, ein bewaffneter Konflikt zwischen Russland und der Nato scheint möglich. Einen konventionellen Krieg auf deutschem Boden hält Oberst Armin Schaus vom Operativen Führungskommando der Bundeswehr jedoch für unwahrscheinlich. Komme es zu Gefechten zwischen Russland und der Nato, dann an der Ostflanke – in Litauen, Polen oder Estland. Die militärische Rolle der Bunderepublik in diesem Fall definiert der „Operationsplan Deutschland“. „Wir wären in erster Linie Aufmarschgebiet“, sagt Schaus.
Im Spannungs- oder Verteidigungsfall müssen also Truppen und Material verbündeter Staaten schnell durch Deutschland transportiert werden. Um das zu gewährleisten, plant die Bundeswehr entlang der Verlegungsrouten sogenannte Convoy Support Center: logistische Haltepunkte mit Versorgungseinrichtungen, Sanitätsdiensten und Treibstoffversorgung.
Der Oberst, der schon während der Corona-Pandemie die zivil-militärische Zusammenarbeit koordinierte, erklärt: „Da wir unsere Kräfte, vor allem die Logistik, im Einsatzgebiet benötigen, greifen wir auf vertragliche Leistungen privater Firmen zurück – vom Caterer bis zum Tankstellenbetreiber.“ Möglich machen das sogenannte Vorhalteverträge mit General- und Subunternehmern.
Im Kriegsfall können Betriebe außerdem verpflichtet sein, Leistungen bereitzustellen – etwa auf Grundlage des Verkehrsleistungsgesetzes oder weiterer Sicherstellungs- und Vorsorgegesetze. Der Staat darf dann Transportmittel oder Dienstleistungen anfordern. „Davon sind wir weit entfernt“, betont Schaus. „Zurzeit setzen wir in unseren Planungen ausschließlich auf vertraglich vereinbarte Leistungen – und machen bei Übungen gute Erfahrungen damit.“
Schutz gegen hybride Bedrohungen
Doch die Unterstützung der militärischen Logistik ist nur ein Teil der Herausforderung. Unternehmen müssen sich künftig nicht nur gegen Pandemien oder Lieferengpässe wappnen, sondern auch gegen gezielte Angriffe auf Infrastruktur, Kommunikation und Versorgung. „Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine befindet sich Deutschland zwar nicht im Krieg, aber auch nicht mehr so ganz im Frieden“, sagt Schaus. Cyberangriffe, Industriespionage, Sabotage und Desinformationskampagnen durch ausländische Akteure sind laut Bundeswehr heute Realität – nicht nur für staatliche Institutionen, sondern auch für Firmen.
„Attacken auf Betriebe gehören zum Alltag“, warnt auch Stefan Schmal, Partner beim Beratungsunternehmen Forvis Mazars. Er ist Experte für Unternehmensresilienz: die Fähigkeit, Krisen zu antizipieren, zu bewältigen und sich schnell davon zu erholen. „Firmen müssen begreifen, dass sie Teil einer sicherheitsrelevanten Infrastruktur sind“, sagt Schmal.
Einige Gewerbetreibende handeln bereits: Ein großer Lebensmittelhändler hat alle Filialen mit Notstromversorgung und doppelter IT-Infrastruktur ausgestattet – aus eigenem Antrieb, wie die Bundeswehr berichtet. In der Wirtschaft wächst die Bereitschaft, sich der neuen Gefahrenlage zu stellen. „Wir stoßen bei Verbänden und Betrieben auf enormes Interesse“, sagt Schaus.
Vorstand und Aufsichtsrat sind gefordert
Doch nicht alle Unternehmen erkennen das Risiko. „Gerade Mittelständler halten sich oft für zu unbedeutend – ein gefährlicher Irrtum“, warnt Schmal. Es gehe gerade darum, bislang undenkbare Szenarien durchzuspielen und regelmäßig zu üben. Für Schaus ist das Chefsache: „Widerstandsfähigkeit darf kein Nebenthema der IT-Abteilung sein – sie gehört auf die Agenda von Vorstand und Aufsichtsrat.“
Resilienzexperte Stefan Schmal empfiehlt die Einführung eines „Chief Future Officer“, der Strategien zur Krisenfestigkeit und Zukunftssicherheit koordiniert. Der Aufsichtsrat müsse mitziehen, Maßnahmen hinterfragen, Prioritäten setzen und deren Umsetzung kontrollieren. „Das erfordert eine tiefgehende Auseinandersetzung – nicht nur mit dem eigenen Betrieb und dem Markt, sondern auch mit geopolitischen Entwicklungen.“
Jeder belastbare Resilienzplan beginnt mit Klarheit über die aktuelle Lage, erklärt Oberst Armin Schaus. Unternehmen sollten sich fragen: Welche Rolle spielen wir im Gesamtsystem? Welche kritischen Abhängigkeiten bestehen? Wo sind wir verwundbar? Aus den Antworten lassen sich technische und organisatorische Schutzmaßnahmen ableiten – vom Cybersicherheitskonzept über den physischen Schutz von Standorten bis hin zu alternativen Lieferketten und zur Notfallkommunikation.
Unternehmen als Resilienzgestalter
„Bereits kleine Maßnahmen können eine große Wirkung entfalten“, sagt Schmal – etwa redundante Datenverbindungen, Wiederanlaufpläne bei IT-Ausfällen oder klare Kommunikationsketten für den Krisenfall. Wichtig sei auch, die Mitarbeiter*innen durch regelmäßige Übungen auf Ausnahmesituationen vorzubereiten – nicht nur technisch, sondern auch mental.
„Resilienz ist kein Zufall, sondern das Ergebnis kluger Vorbereitung“, betont Schaus. Die Verantwortung dafür sieht er in erster Linie bei den Firmen selbst. „Umfassender Schutz und Absicherung von Unternehmen durch den Staat beziehungsweise die Bundeswehr sind unrealistisch“, stellt der Oberst klar. Im Frieden dürfe die Bundeswehr keine zivile Infrastruktur schützen, im Verteidigungsfall müsse sie priorisieren. Die Streitkräfte konzentrierten sich dann auf strategische Knotenpunkte und die Koordination der Gesamtlage. Auch die Polizei müsse voraussichtlich Prioritäten setzen.
Die Botschaft ist klar: Verteidigung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, widerstandsfähige Unternehmen sind ein wesentlicher Teil davon. Schaus‘ Appell: „Wer das verstanden hat, sollte nicht länger zögern, sondern handeln.“
| Was ist der „Operationsplan Deutschland“? |
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- Ziel
Der Operationsplan Deutschland (O-Plan DEU) legt fest, welche Rolle Deutschland im Verteidigungsfall spielt: logistische Drehscheibe für Nato-Truppen, insbesondere bei Verlegungen Richtung Baltikum und Polen. Ziel ist es, ihre Einsatzfähigkeit auf deutschem Boden zu sichern – unter Einbindung von ziviler Infrastruktur und Unternehmen. - Hintergrund
Entstanden ist der Plan als Reaktion auf die sicherheitspolitische Zeitenwende nach der Krim-Annexion 2014 und dem russischen Angriff auf die Ukraine 2022. Er ist Teil der gesamtstaatlichen Verteidigungsarchitektur und basiert auf Nato-Planungen zur Abschreckung und kollektiven Verteidigung. - Geheimhaltungsstufe
Der Plan ist als Verschlusssache eingestuft und nicht öffentlich zugänglich. Unternehmen und Verwaltungen erhalten jedoch auf Anfrage Einblick in für sie relevante Inhalte – etwa bei Sicherheitsveranstaltungen oder über Branchenverbände. - Gesamtstaatliche Verantwortung
Der O-Plan ist Ausdruck einer neuen Realität: Verteidigung ist nicht nur Sache des Militärs. Auch Wirtschaft, Verwaltung und Gesellschaft sind gefordert. Resilienz, Vorsorge und Zusammenarbeit werden zur gemeinsamen Aufgabe – lange vor dem Ernstfall.
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