Einordnung von KI im Rechnungswesen mit dem Reifegradmodell

Das Rechnungswesen eines jeden Unternehmens erfordert ein hohes Maß an Genauigkeit und Effizienz. Unterstützende Softwaresysteme entwickeln sich stetig weiter – immer mehr Anbieter integrieren Funktionen der künstlichen Intelligenz (KI) in ihre Finanz- und Buchhaltungslösungen. Um ein besseres Verständnis für den Status quo in den Bereichen im eigenen Unternehmen und in den Lösungen am Markt zu erhalten, ist die Anwendung eines Reifegradmodells nützlich.

Das Reifegradmodell

KI-Systeme können große Mengen Daten innerhalb von kurzer Zeit verarbeiten, Muster erkennen und basierend darauf Entscheidungen vorbereiten oder auch treffen sowie Aufgaben selbst ausführen. Insbesondere repetitive, zeitaufwendige Tätigkeiten lassen sich durch KI häufig relativ einfach automatisieren. Das steigert die Effizienz in den Finanzprozessen und führt zu höherer Genauigkeit. Für eine sinnvolle Einordnung des Entwicklungsstandes in spezifischen Teilbereichen des Rechnungswesens bietet sich ein Reifegradmodell als Rahmenwerk zur strukturierten Bewertung der Qualität und des Fortschritts an.

Das Reifegradmodell kann auf jeden Bereich der Finanzabteilung, aber auch darüber hinaus angewendet werden und erlaubt somit eine individuelle Bewertung von Teilprozessen. Es misst den Automatisierungsgrad und die Entscheidungsautorität der KI und ermöglicht es Organisationen, den aktuellen Entwicklungsstand zu bewerten, verbesserungswürdige Bereiche zu identifizieren und gezielte Optimierungsmaßnahmen zur Weiterentwicklung zu planen. Dabei können die verschiedenen Dimensionen des Rechnungswesens wie zum Beispiel das interne und das externe Rechnungswesen berücksichtigt werden. Durch die Einteilung in klar definierte Stufen bietet das Modell eine standardisierte Orientierungshilfe.

Reifegrade:

  • Reifegrad 0:   Es findet keine Unterstützung durch KI statt, Aufgaben werden manuell oder durch andere Technologien ausgeführt.
  • Reifegrad 1:    KI unterstützt bei der Entscheidungsfindung und bietet Entscheidungsmöglichkeiten an, die Ausführung liegt beim Menschen.
  • Reifegrad 2:    KI führt die beste Entscheidungsmöglichkeit aus; der Mensch gibt hierbei vorab die Erlaubnis oder kann nach Ausführung durch die KI nachträglich innerhalb eines bestimmten Zeitraums widersprechen.
  • Reifegrad 3:    KI führt ohne menschliche Erlaubnis Entscheidungen aus; der Mensch wird ggf. nachträglich informiert – automatisch oder nach Abfrage durch ihn.
  • Reifegrad 4:    KI führt vollautonom, also ohne menschliche Teilhabe, Entscheidungen aus.

Das Modell stellt eine aufschlussreiche Einstiegshilfe für Organisationen dar, die sich bisher wenig mit dem Thema KI im Rechnungswesen beschäftigt haben und sich nun mit der Thematik auseinandersetzen wollen, bietet aber auch reiferen Organisationen die Möglichkeit zur Standortbestimmung und Weiterentwicklung. Das Modell lässt sich in der Organisation als Ganzes wie auch in einzelnen Bereichen bzw. Prozessen anwenden. Es kann auch eingesetzt werden, um den Reifegrad einzelner Softwarelösungen zu bestimmen – sowohl der bereits im Einsatz befindlichen als auch der Lösungen am Markt. Somit lassen sich Lösungen sinnvoll einander gegenüberstellen und die Reifegradeinordnung kann als Basis für strategische Entscheidungen in Bezug auf die IT-Landschaft herangezogen werden.

Beispiele externes Rechnungswesen: Verarbeiten von Eingangsrechnungen

Klassische RPA- und OCR-Systeme stoßen im Rahmen der Rechnungseingangsverarbeitung in der Erkennungsrate an gewisse Grenzen. Durch den Einsatz von KI bei der Rechnungseingangsverarbeitung lassen sich sowohl Erkennungsraten verbessern als auch weiterführende Aufgaben wie die Ableitung oder Qualitätssicherung von Kontierungsinformationen automatisieren. Basierend auf historischen Geschäftsvorfällen und einer Klassifizierung des aktuellen Belegs schlägt die KI die passende Kontierung (z. B. Sachkonten, Kostenstellen) vor und kann den Beleg auch direkt im System erfassen. Der Prozess kann in einer fortschrittlichen Ausbaustufe beispielsweise nach Einholung des Einverständnisses des Nutzers oder vollautonom ohne Benachrichtigung erfolgen, was entsprechend der Einordnung in das Reifegradmodell einer hohen Reife zwischen Grad 3 und 4 entspricht.

Beispiel internes Rechnungswesen: Vorhersage von Liquiditätsengpässen und Insolvenzwahrscheinlichkeit

KI kann effektiv zur Vorhersage von Liquiditätsengpässen eines Unternehmens eingesetzt werden. Ein KI-basiertes Frühwarnsystem mit dem Reifegrad 1 analysiert sowohl unternehmensinterne als auch makroökonomische Daten, um finanzielle Krisen frühzeitig zu erkennen. Dabei werden Zahlungsverläufe und Konditionen bestehender Verträge genutzt, um zukünftige Cashflows vorherzusagen und potenzielle Liquiditätsengpässe zu identifizieren. In der Praxis hat sich gezeigt, dass solche Systeme eine hohe Vorhersagegenauigkeit erreichen können. Diese präzisen Vorhersagen ermöglichen es Unternehmen, rechtzeitig wirksame Maßnahmen zu ergreifen und die finanzielle Stabilität zu gewährleisten.

Der Reifegrad in diesem Beispiel lässt sich mit den heutigen verfügbaren und einsatzbereiten Technologien und vertretbarem Aufwand nicht ohne Weiteres erhöhen. Der technische Entwicklungsstand der Lösungen am Markt ist teils noch nicht ausgereift genug, um komplexe Entscheidungssituationen selbstständig ohne menschliche Interaktion umzusetzen, und auch die Anwender und Entscheider sind meist noch nicht in der Lage, diese Art von Entscheidungen aus der Hand zu geben, auch unter dem Gesichtspunkt von möglichen Haftungsfragen oder Ähnlichem.

Die Anwendung eines Reifegradmodells bietet für KI-Anwendung im Rechnungswesen zahlreiche Vorteile

Von der Automatisierung repetitiver Aufgaben bis hin zur präzisen Vorhersage von Finanzkennzahlen kann KI die Effizienz und die Genauigkeit der Finanzprozesse im internen und externen Rechnungswesen maßgeblich verbessern. Ein Reifegradmodell ist hilfreich, um den Entwicklungsstand von KI im eigenen Unternehmen sowie in Softwarelösungen am Markt einzuordnen, die nächsten Entwicklungsschritte greifbar zu machen und technische Grenzen zu verstehen. Damit können Effektivität und Effizienz der Finanzprozesse systematisch gesteigert werden, sodass bessere Entscheidungsgrundlagen geschaffen und mehr Kapazitäten für die Konzentration auf strategische Aufgaben freigesetzt werden.

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