Anlage 31c BMV-Ä - Neue Regeln für Telemedizinanbieter

Seit dem 1. März 2025 gelten neue Regeln für telemedizinische Behandlungen durch Vertragsärzt*innen . Die Vertragspartner des Bundesmantelvertrages für Ärzte (BMV-Ä) – Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und GKV-Spitzenverband (GKV-SV) – haben mit der Anlage 31c zum BMV-Ä Anforderungen für die Sicherung der Versorgungsqualität von telemedizinischen Leistungen im Rahmen von Videosprechstunden und Telekonsilien gemäß § 87 Abs. 2o SGB V festgelegt. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die wichtigsten Neuregelungen für die Videosprechstunde.

Allgemeine Anforderungen an Videosprechstunden

Verpflichtend ist die Verwendung der elektronischen Patientenakte (ePA) im Rahmen der Durchführung der Videosprechstunden, es sei denn, der*die Patient*in hat dem Zugriff des*der Vertragsarztes*Vertragsärztin auf die ePA widersprochen (§ 3). Auch der elektronische Medikationsplan, der allen Beteiligten am Medikationsprozess relevante Daten zur Verfügung stellt, ist verpflichtend (§ 4). Zudem müssen elektronische Arztbriefe über sichere Übermittlungsverfahren – derzeit KIM und TI-Messenger – in die ePA übermittelt werden (§ 5).

Spezielle Anforderungen an die Videosprechstunde

Vertragsärzt*innen sollen Videosprechstunden im Rahmen des medizinisch Sinnvollen und unter Berücksichtigung der organisatorischen Verpflichtungen anbieten (§ 6 Abs. 1). Der vage Begriff des in diesem Zusammenhang „medizinisch Sinnvollen“ wird nicht näher definiert. Es sind wohl jedenfalls die Anforderungen des ärztlichen Berufsrechts (§ 7 Abs. 4 MBO-Ä) sowie des medizinischen Facharztstands zu beachten. Die Inanspruchnahme einer Videosprechstunde, beispielsweise die Terminvereinbarung, muss für Versicherte niedrigschwellig möglich sein (§ 6 Abs. 2 Satz 1) und muss antidiskriminierenden Gesichtspunkten genügen, indem die Terminvergabe ausschließlich auf Basis der medizinischen Behandlungsbedürftigkeit erfolgt (§ 6 Abs. 2 Satz 2 bis 4).

Der*Die Vertragsarzt*Vertragsärztin muss auf das Angebot der Videosprechstunde mindestens in den Praxisräumen transparent hinweisen (§ 6 Abs. 3). Das Angebot von Terminen allein zum Zwecke einer bestimmten Leistung wie die Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung oder von Folgeverordnungen ist unzulässig (§ 9 Abs. 3).

Ab dem 1. September 2025 müssen die Videosprechstundentermine vorrangig an Patient*innen vergeben werden, die ihren Wohnort oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der räumlichen Nähe zum Praxissitz oder, bei mehr als einer Betriebsstätte, zum nächstgelegenen Ort der Leistungserbringung haben (§ 7 Abs. 1 und 2). Dies soll der Sicherstellung einer strukturierten Anschlussversorgung dienen. Bei räumlicher Nähe ist dabei unter Rückgriff auf die Rechtsprechung von einer Entfernung von 30 bis 60 Minuten auszugehen.

Bewertung: Wenngleich die im Weiteren geregelte verpflichtende Sicherstellung einer Anschlussversorgung zu begrüßen ist, erweist sich die Regelung im Hinblick auf den Fachkräftemangel und die Erforderlichkeit einer spezialisierten Versorgung insbesondere im ländlichen Bereich sowie bei seltenen oder chronischen Erkrankungen als hinderlich, da sie gerade nicht dazu beiträgt, die Versorgung in unterversorgten Gebieten zu verbessern.

Sofern der*die Vertragsarzt*Vertragsärztin die Videosprechstunde außerhalb des Vertragsarztsitzes durchführt, also zum Beispiel im Homeoffice, ist ein voll ausgestatteter Telearbeitsplatz vorzuhalten. Der Telearbeitsplatz muss sich in einem dedizierten, geschlossenen Raum befinden, telefonische Erreichbarkeit gewährleisten und den vollständigen Zugriff sowie die Nutzbarkeit der elektronischen Patientendokumentation und der Anwendungen der Telematikinfrastruktur gemäß § 334 SGB V sicherstellen (§ 8 Abs. 1). Die Anforderungen des § 24 Abs. 8 Ärzte-ZV, also dass der*die Arzt*Ärztin die geschuldeten Sprechstundenzeiten am Vertragsarztsitz erbringt und dort telefonisch erreichbar ist, sind hierbei einzuhalten (§ 8 Abs. 2). Die Durchführung der Videosprechstunde hat zwingend aus dem Inland zu erfolgen (§ 8 Abs. 3). Werden die Videosprechstunden außerhalb des Vertragsarztsitzes oder außerhalb der Praxisöffnungszeiten durchgeführt, werden sie nicht auf die Mindestsprechstundenzeit angerechnet (§ 9 Abs. 1).

Bewertung: Die Anforderungen sind vor dem Hintergrund, dass die Zulassung für den Ort der Niederlassung mit entsprechender Vor-Ort-Sprechstundenverpflichtung erfolgt und die Ausübung ambulanter ärztlicher Tätigkeit auch berufsrechtlich an den Praxissitz gebunden ist, wenig überraschend, bleiben jedoch hinter dem Ziel eines flächendeckenden Angebots an Videosprechstunden in einer globalen Welt zurück. Für die Nichtanrechnung der Videosprechstunden auf die Mindestsprechstunden besteht kein regulatorisches Erfordernis, und dies kann dazu führen, dass das Angebot von Videosprechstunden aus Sicht der Vertragsärzt*innen unattraktiv ist und daher deren flächendeckende Etablierung hemmt.

Ab dem 1. September 2025 müssen Vertragsärzte*Vertragsärztinnen ein strukturiertes Ersteinschätzungsverfahren durchführen, wenn Videosprechstunden über Vermittlungsportale, beispielsweise der Kassenärztlichen Vereinigungen, mit unbekannten Patient*innen vereinbart werden. Unbekannte Patient*innen sind solche, mit denen in den letzten vier Quartalen, einschließlich des aktuellen Quartals, kein persönlicher Kontakt zwischen Arzt*Ärztin und Patient*in stattgefunden hat. Damit soll festgestellt werden, ob der Fall für eine Videosprechstunde geeignet ist (§ 9 Abs. 2 Satz 2). Sofern keine Eignung für die Videosprechstunde festgestellt werden kann, wird der*die Patient*in an die vorhandenen Versorgungsstrukturen wie Arztpraxen und Krankenhäuser verwiesen (§ 9 Abs. 2 Satz 3). Im Rahmen der Ersteinschätzung muss eine Software verwendet werden, die bestimmte Kriterien erfüllt. Sie muss unter anderem geeignet sein zu erkennen, ob eine Behandlung im Rahmen einer Videosprechstunde möglich ist, und anderenfalls die*den Versicherte*n einer angemessen Versorgungsebene zuweisen.

Bewertung: Die Software wird als Medizinprodukt gemäß der EU-Verordnung über Medizinprodukte (2017/745) einzustufen sein. Voraussichtlich wird eine solche Software mit in die Risikoklasse IIa fallen, was die Beteiligung einer Benannten Stelle für die Zertifizierung erfordert. Es erscheint fraglich, ob mit Geltungsbeginn der Regelung bereits entsprechende Anbieter vorhanden sein werden.

Zudem ist der zwingende Softwareeinsatz kritisch zu bewerten. Laut Berufsrecht sollten Ärzt*innen selbst entscheiden können, ob eine Fernbehandlung möglich ist.

Außerdem erscheint die Definition eines „unbekannten Patienten“ willkürlich und nicht sachgerecht. Auch Patient*innen, die bisher „nur“ in der Videosprechstunde behandelt wurden, können dem*der Arzt*Ärztin gut bekannt sein; genauso wie Patient*innen, die länger als vier Quartale nicht mehr in der persönlichen Behandlung waren.

Sofern im Rahmen der Videosprechstunde ein Versorgungsbedarf nicht gedeckt werden kann, sind Vertragsärzt*innen verpflichtet, dem*der Patienten*Patient*in eine strukturierte Anschlussversorgung zur Verfügung zu stellen (§ 10 Abs. 1), sofern erforderlich auch durch tagesgleiche Überweisung an eine andere Facharztgruppe, Einweisung in ein Krankenhaus (§ 10 Abs. 2) oder Ausstellung einer Verordnung (§ 10 Abs. 3). Gänzlich ausgeschlossen ist die Verschreibung von Arzneimitteln, die der Betäubungsmitteilverordnung unterfallen (z. B. medizinisches Cannabis) oder Suchterkrankungen auslösen können, gegenüber unbekannten Patient*innen (§ 11 Abs. 1 und 2).

Fazit

KBV und GKV-SV waren vom Gesetzgeber mit der Aufgabe betraut, im Rahmen der Anlage 31c durch Qualitätsvorgaben die Versorgungsqualität von telemedizinischen Leistungen sicherzustellen. Nach der Intention des Digitalgesetzes aus dem Vorjahr sollten die Potenziale von Videosprechstunden noch besser genutzt werden und zu solchen Angeboten entwickelt werden, die eine strukturierte, leitlinienbasierte und qualitätsorientierte Versorgung ermöglichen und insbesondere auch die Integration von Videosprechstunden und Vorortbehandlung im Sinne eines verlässlichen Behandlungspfades und einer longitudinalen Betreuung der Patient*innen sicherstellen.

Die Regelungen widersprechen der Intention des Digitalgesetzes aus dem Vorjahr, nach dem die Telemedizin ein fester Bestandteil der Gesundheitsversorgung werden soll und Videosprechstunden noch umfassender eingesetzt und leichter genutzt werden sollen. Nach unserer Auffassung wird das Potenzial der Videosprechstunde durch die Anlage 31c nicht ausgenutzt, es wird sogar geschwächt. Durch restriktive Regelungen zur standardisierten Ersteinschätzung sowie zur räumlichen Nähe zwischen Arzt*Ärztin und Patient*in werden globale Videosprechstunden mit spezialisierten Fachärzt*innen unmöglich gemacht. Die Leidtragenden dieser Anforderungen sind am Ende die Patient*innen, da telemedizinische Angebote gerade da gebraucht werden, wo Patient*innen keinen Zugang zu fachärztlicher Versorgung in ihrer Nähe haben.

Autor*innen: Julia Kleinschmidt und Sebastian Retter

Dies ist ein Beitrag aus unserem Healthcare-Newsletter 1-2025. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.

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