Ärztliche Tätigkeit – freiberuflich oder gewerblich? Rechtsprechung und Finanzverwaltung nehmen Stellung
Ärztl. Tätigkeit: freiberuflich oder gewerblich?
Auch die Finanzverwaltung äußerte sich jüngst zu der steuerlichen Behandlung besonderer Organisationsformen ärztlicher Betätigungen und der Abgrenzung zwischen freiberuflicher und gewerblicher Tätigkeit. Neben der Behandlung von Tätigkeiten gemäß §§ 73b, 140a SGB V bezieht die Oberfinanzdirektion (OFD) Frankfurt a. M. Stellung zur Anstellung fachfremder oder fachgleicher Ärzt*innen und deren Auswirkung auf die Einkünfte des niedergelassenen Arztes selbst.
Sachverhalt im Urteilsfall
Die Klägerin ist eine im März 2006 gegründete PartG. Sie betreibt eine Zahnarztpraxis. Die sieben Partner*innen (drei Senior- und vier Juniorpartnerinnen) sind approbierte Zahnärzte*innen. Dr. A, Seniorpartner, war seit Gründung der Klägerin dafür zuständig, alle Angelegenheiten zu erledigen, die außerhalb der eigentlichen Patientenbehandlung zum Betrieb der Praxis gehörten. Darunter fielen insbesondere die Ablauforganisation, die Betreuung aller vertraglichen Angelegenheiten und die Vertretung der Klägerin gegenüber Behörden und Kammern, Gerichten, Banken, dem Steuerberater, dem Finanzamt sowie der Internen Revision. Dr. A kümmerte sich um die Instandhaltung zahnärztlicher Gerätschaften und Einrichtungsgegenstände und um die Betreuung baulicher Maßnahmen und Personalangelegenheiten. Ebenso war er für die Qualitätssicherung und den Bereich Strahlenschutz/Röntgentätigkeit verantwortlich.
Im Streitjahr 2010 beriet Dr. A fünf Patient*innen konsiliarisch. Er war nicht behandelnd tätig und auch sonst in die praktische zahnärztliche Arbeit der übrigen Zahnärzt*innen nicht eingebunden. Dr. A hielt sich regelmäßig nur noch an einem Tag in der Woche in den Praxisräumen auf. Dort nahm er insbesondere Reparatur- und Wartungsarbeiten vor. Im Übrigen befand er sich nur unregelmäßig in den Praxisräumen. Sein Anteil am Gesamtumsatz der Praxis betrug im Streitjahr 0,028 %. Als Seniorpartner erhielt er einen Vorabgewinn in Höhe von 15 %.
Die Klägerin wies in ihrer Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung von Besteuerungsgrundlagen ihre Einkünfte als solche aus selbstständiger Arbeit aus. Das Finanzamt erließ zunächst einen erklärungsgemäßen Feststellungsbescheid. Nach einer Betriebsprüfung erließ das Finanzamt jedoch einen geänderten Feststellungsbescheid, in dem es die Einkünfte als Einkünfte aus Gewerbebetrieb feststellte. Das gegen diesen Bescheid gerichtete Einspruchsverfahren blieb erfolglos. Das FG Rheinland-Pfalz schloss sich dem Finanzamt an (Urteil vom 16. September 2021, 4 K 1270/19). Die umfassende Übernahme von Organisations-, Verwaltungs- und Managementaufgaben durch einen Mitunternehmer der PartG führe zum Entfall der Anforderungen an die selbstständig ausgeübte Tätigkeit als Zahnarzt. Dies infiziere die Einkünfte der gesamten PartG als Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Die Klägerin legte gegen das Urteil Revision beim BFH ein.
Entscheidung des BFH
Die Revision der Klägerin hatte Erfolg.
Die Klägerin erzielte für das Streitjahr 2010 keine Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG), sondern aus selbstständiger (freiberuflicher) Arbeit (§ 18 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 EStG). Sämtliche Gesellschafter der Klägerin erfüllen die Merkmale eines freien Berufs. Somit erfülle auch die Klägerin selbst die Anforderungen an einen freien Beruf. Die Tätigkeit des Dr. A gilt trotz der überwiegend administrativen Prägung noch als freiberuflich.
1. Freiberufliche Tätigkeit einer Personengesellschaft
Eine Personengesellschaft entfaltet nur dann eine Tätigkeit, die die Ausübung eines freien Berufs im Sinne von § 18 EStG darstellt, wenn sämtliche Gesellschafter*innen die Merkmale eines freien Berufs erfüllen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Freiberuflichkeit können nicht von der Personengesellschaft selbst erfüllt werden. Jede*r Gesellschafter*in muss mithin über die persönliche Berufsqualifikation verfügen und eine freiberufliche Tätigkeit, zu deren Ausübung er*sie persönlich qualifiziert ist, tatsächlich selbst entfalten. Erfüllt eine*r der Gesellschafter*innen diese Voraussetzungen nicht, so erzielen alle Gesellschafter*innen Einkünfte aus Gewerbebetrieb gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG. Eine Aufteilung der Einkünfte in freiberufliche und – für die*den Berufsfremde*n – in solche aus Gewerbebetrieb scheidet aus.
2. Freiberufliche Tätigkeit eines*einer Partner*in auch bei weit überwiegend organisatorischen und administrativen Leistungen für den Praxisbetrieb
Die freiberufliche Tätigkeit ist durch die unmittelbare, persönliche und individuelle Arbeitsleistung des Berufsträgers geprägt. Die bloße Zugehörigkeit eines Gesellschafters zu einer der in § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG genannten Berufsgruppen reicht nicht aus. Es muss positiv festgestellt werden können, dass jeder Gesellschafter die Hauptmerkmale des freien Berufs, nämlich die persönliche Berufsqualifikation und das untrennbar damit verbundene aktive Entfalten dieser Qualifikation auf dem Markt, in seiner*ihrer Person verwirklicht hat. Das Berufsbild des (Zahn-)Arztes ist dabei in besonderem Maße durch den persönlichen individuellen Dienst am Patienten geprägt.
Erforderlich ist aber nicht, dass jeder Gesellschafter in allen Unternehmensbereichen leitend und eigenverantwortlich tätig ist und an jedem Auftrag bzw. Patienten mitarbeitet. Die kaufmännische Führung und Organisation der Personengesellschaft ist die Grundlage für die Ausübung der am Markt erbrachten berufstypischen (hier zahnärztlichen) Leistungen und damit auch Ausdruck der freiberuflichen Mit- und Zusammenarbeit sowie der persönlichen Teilnahme des Berufsträgers an der praktischen Arbeit.
Die Tätigkeit des Dr. A gilt trotz der überwiegend administrativen Prägung noch als freiberuflich. Aus der Gewinnzuweisung ergibt sich, dass die Partner untereinander diese Tätigkeit ebenso honoriert haben wie die von ihnen nach außen entfaltete Behandlungstätigkeit. Die konsiliarische Beratung der fünf Patienten durch Dr. A stellt eine geringfügige, aber ausreichende behandelnde Tätigkeit als Zahnarzt dar.
Fazit und Ausblick/Praxishinweise
1. Einordnung der Entscheidung des BFH
Der BFH stellt für die Einordnung der Tätigkeit einer Personengesellschaft als freiberuflich maßgeblich auf die Arbeitsteilung im Rahmen der in der Gesellschaft verbundenen Berufsträger ab. Dabei legt er das Merkmal der „persönlichen Teilnahme des Berufsträgers an der praktischen Arbeit“ – überraschend – weit aus. Ausreichend ist die nur geringfügige behandelnde Tätigkeit einzelner Partner, sofern sie den Gesamtbetrieb der Praxis unterstützen und damit die Grundlage für die am Markt erbrachte Tätigkeit der anderen Partner schaffen.
Der BFH bringt mit dieser Entscheidung Klarheit für die ertragsteuerliche Behandlung von PartG und der Grenze zwischen einer zulässigen Arbeitsteilung und einer nicht mehr leitenden und eigenverantwortlichen Tätigkeit. Sie stärkt durch die weite Auslegung das „Freiberuflerprivileg“. Ein Mindestumfang für die nach außen gerichtete qualifizierte Tätigkeit sieht das Gesetz nicht vor. Auch die im Sachverhalt marginale (freiberufliche) Arbeit soll genügen. Das Risiko der Einstufung der Einkünfte einer PartG als gewerblich mit der Folge der zusätzlichen Belastung der Einkünfte mit Gewerbesteuer verringert sich. Dies gilt auch abseits von (zahn-)ärztlichen Gemeinschaftspraxen bei sämtlichen Zusammenschlüssen von Freiberuflern.
Dennoch hat die Finanzverwaltung das Urteil bisher nicht im Bundessteuerblatt veröffentlicht.
2. Verfügung der OFD Frankfurt a. M. vom 29. Januar 2025
Einen Wegweiser aus der Sphäre der Finanzverwaltung bietet aber die OFD Frankfurt a. M. mit ihrer Verfügung vom 29. Januar 2025 (Az. S 2246 A – 00012-0357 – St 214) zur Abgrenzung der freiberuflichen von der gewerblichen Tätigkeit bei Ärzten. Stellt ein niedergelassener Arzt fachfremde oder fachgleiche Ärzte an, bedient er sich der Mithilfe fachlich vorgebildeter Mitarbeiter. Der arbeitgebende Arzt erzielt freiberufliche Einkünfte, soweit er weiterhin leitend und eigenverantwortlich tätig wird. Erforderlich ist eine persönliche Teilnahme an der praktischen Arbeit des angestellten Arztes. Andernfalls erzielt der arbeitgebende Arzt grundsätzlich Einkünfte aus Gewerbebetrieb, was insbesondere bei der Anstellung fachfremder Ärzte anzunehmen ist. Maßgeblich sind die Gesamtumstände des Einzelfalls. Zu beachten ist, dass die Verfügung der OFD Frankfurt a. M. die Beziehung zwischen arbeitgebendem und angestelltem Arzt beleuchtet. Das oben vorgestellte Urteil des BFH betrifft hingegen die Beziehung zwischen Zahnärzten, die als gleichgestellte Partner eine Praxis als Mitunternehmer führen. Ein Widerspruch der rechtlichen Würdigung besteht somit zwischen den beiden Veröffentlichungen nicht.
Darüber hinaus geht die OFD Frankfurt a. M. auf Einkünfte aus Musterverträgen nach dem SGB V ein. Danach gilt, dass in der Übernahme der Koordination der medizinischen Maßnahmen bei der hausarztzentrierten Versorgung gemäß § 73b SGB V, d. h. in der Steuerung des Behandlungsprozesses, keine gewerbliche Tätigkeit zu sehen ist (Tz. 1.). Dies gilt auch für durch Hausärzt*innen erhaltene Pauschalvergütungen. Bei der besonderen Versorgung (im Bereich der ambulanten Versorgung und integrierten Versorgung gemäß § 140a SGB V) muss im Einzelfall das Vorliegen gewerblicher Tätigkeiten geprüft werden. Diese Versorgungsmöglichkeiten sollen eine interdisziplinäre, fach- und sektorübergreifende Versorgung ermöglichen. Exemplarisch als gewerbliche Tätigkeit aufgeführt wird die Abgabe von Medikamenten, die für die originäre ärztliche Tätigkeit nicht unmittelbar erforderlich sind (Tz. 2.).
Autor*innen: Jens Krieger, Lena Netzer
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