EuGH-Urteil C‑794/23 („P‑GmbH II“): Keine Umsatzsteuerschuld bei fehlerhaftem Umsatzsteuerausweis an Endverbraucher
EuGH-Urteil C‑794/23 („P‑GmbH II“)
Hintergrund
Die P-GmbH aus Österreich betreibt einen Indoor-Spielplatz und stellte im Massengeschäft eine Vielzahl sog. Kleinbetragsrechnungen aus, die einen zu hohen Umsatzsteuersatz enthielten (20 % statt 13 %). Dazu entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) zunächst mit Urteil vom 08.12.2022 (C-378/21 – „P-GmbH I“), dass eine Gefährdung des Steueraufkommens ausgeschlossen sei, weil die P-GmbH nur an „Endverbraucher“ geleistet habe; folglich schulde die P-GmbH nicht die Differenz (hier 20 % abzgl. 13 % = 7 %) gegenüber dem Fiskus der Alpenrepublik. Da im Nachgang jedoch nicht ausgeschlossen werden konnte, dass ein kleiner Teil der Kunden nicht „Endverbraucher“ sei, schätzte die österreichische Finanzgerichtsbarkeit diesen „steuerpflichtigen“ Anteil auf 0,5 % (112 von 22.557 Rechnungen) des Gesamtumsatzes. Dies nahm die Finanzverwaltung zum Anlass, das Gesamtergebnis infrage zu stellen und die Sache erneut dem EuGH vorzulegen
Hierzu traf der EuGH mit seinem Urteil vom 01.08.2025 (C‑794/23 – „P‑GmbH II“) eine erneute Entscheidung: Stellt ein Unternehmer einem Endverbraucher eine Rechnung mit zu Unrecht ausgewiesener Umsatzsteuer aus, so entsteht hierfür keine Steuerschuld nach Art. 203 MwStSystRL. Dies gilt auch, wenn in diesem Zusammenhang ein steuerpflichtiger Anteil geschätzt werden muss, weil nicht vollumfänglich nachgewiesen werden kann, dass es sich bei den Kunden zu 100 % um Endverbraucher handelte.
Betroffen sein dürften auch Einrichtungen im Gesundheitswesen, die mit Massengeschäften und Rechnungen an Endverbraucher zu tun haben.
Die EuGH-Entscheidung im Einzelnen
Der EuGH stellt in seinem Urteil mehrere zentrale Punkte klar:
- Keine automatische Steuerschuld: Ein fehlerhafter Steuerausweis gegenüber Endverbrauchern führt nicht zu einer Steuerpflicht nach Art. 203 MwStSystRL.
- Begriff des Endverbrauchers: Als Endverbraucher gelten ausschließlich Personen, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind. Dies umfasst typischerweise Privatpersonen, Patient*innen oder Bewohner*innen von Pflegeeinrichtungen.
- Einzelfallprüfung erforderlich: Ob es sich beim Kunden tatsächlich um einen Endverbraucher handelt, ist im jeweiligen Einzelfall festzustellen. Hierbei sind die Umstände der Rechnungsstellung sowie die Art der Leistung zu berücksichtigen.
- Schätzung im Massengeschäft zulässig: Gerade bei Kleinbetragsrechnungen, die in großer Zahl anfallen, darf eine Schätzung vorgenommen werden. Diese muss sich jedoch auf objektive Kriterien stützen, wie Art und Modalität der Rechnungsstellung oder verfügbare statistische Daten.
Deutscher Rechtsrahmen: § 14c Abs. 1 UStG
Das deutsche Umsatzsteuergesetz (UStG) sieht in § 14c Abs. 1 UStG eine eigenständige Steuerschuld für fehlerhafte Steuerausweise vor.
Der Unternehmer weist in einer Rechnung Umsatzsteuer aus, die nach dem Gesetz eigentlich nicht geschuldet ist. Beispielsweise wird eine steuerfreie Krankenhaus- oder Pflegeleistung mit 19 % USt fakturiert. Nach früherer Lesart führte dies zwingend zu einer Steuerschuld des Rechnungsausstellers.
Die EuGH-Rechtsprechung entschärft diesen Fall: Bei Rechnungen an Endverbraucher (Privatpersonen, Patient*innen, Bewohner*innen von Pflegeeinrichtungen) entsteht keine Steuerschuld, da kein Risiko besteht, dass diese einen Vorsteuerabzug vornehmen könnten.
Praxisbeispiel: Ein Krankenhaus stellt für Wahlleistungen oder Patientenzuzahlungen eine Rechnung mit 19 % USt aus, obwohl die Leistung steuerfrei ist. Geht die Rechnung an einen Privatpatienten, entsteht nach EuGH keine Steuerschuld.
Relevanz für Krankenhäuser und ambulante Pflege
Die EuGH-Rechtsprechung ist auch für den Healthcare-Bereich von Bedeutung. Krankenhäuser, Pflegeheime und ambulante Pflegedienste stellen regelmäßig Leistungen an Endverbraucher (Patient*innen, Bewohner*innen, Angehörige) in Rechnung. Während Kernleistungen i. d. R. steuerfrei sind (§ 4 Nr. 14 bzw. 16 UStG), fallen auch Nebenleistungen an, bei denen es zu Fehlern im Steuerausweis kommen kann.
Beispiele:
- Zuzahlungen von Patient*innen für Wahlleistungen oder Komfortpakete
- privat getragene Leistungen ambulanter Pflegedienste wie zusätzliche Betreuungsstunden
- Kleinbetragsrechnungen für Unterkunft, Verpflegung oder Serviceangebote
- Schulungen oder Veranstaltungen für Angehörige oder Patient*innen
In diesen Fällen schützt das EuGH-Urteil Einrichtungen vor einer doppelten Belastung. Gleichwohl bleibt Vorsicht geboten, wenn Leistungen an unternehmerische Dritte weitergegeben werden – hier greift § 14c UStG weiterhin.
Für die Praxis empfiehlt es sich, ggf. Rechnungsprozesse zu überprüfen, das Abrechnungspersonal zu schulen und im Zweifel rechtzeitig die Finanzverwaltung einzubeziehen. Ob die Finanzverwaltung die EuGH-Rechtsprechung künftig auch für § 14c Abs. 2 öffnen wird, bleibt abzuwarten. Einrichtungen, die ihre Dokumentation und Prozesse bereits heute anpassen, verschaffen sich einen Vorteil im Bereich steuerlicher Compliance.
Autor: Torsten Volkmann
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