Ein-Mann-GmbH schützt nicht vor Scheinselbstständigkeit

Scheinselbstständigkeit liegt begrifflich vor, wenn ein als selbstständig eingestufter und betitelter Auftragnehmer nach objektiven Kriterien ein abhängig Beschäftigter ist und als solcher sozialversicherungspflichtig angemeldet werden müsste. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich nach § 7 SGB IV und damit nach der Frage, ob eine abhängige Beschäftigung im jeweiligen konkreten Fall vorliegt.

Anhaltspunkte für eine abhängige Beschäftigung sind nach § 7 SGB IV eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Vorzunehmen ist immer auch eine Gesamtbetrachtung aller in Betracht kommenden Kriterien. Üblicherweise taucht die Scheinselbstständigkeitsproblematik beim Einsatz von sog. Freelancer*innen, freien Mitarbeiter*innen oder Einzelunternehmer*innen auf. Um hier die Problematik zu vermeiden, wurde in der Vergangenheit gerne auf das Konstrukt der sog. Ein-Mann-GmbH zurückgegriffen. Das heißt, der jeweilige Vertrag besteht zwischen dem Auftraggeber und einer Kapitalgesellschaft, deren alleiniger Geschäftsführer und Gesellschafter die natürliche Person ist. Diese Vorgehensweise wurde in der Vergangenheit auch von der Deutschen Rentenversicherung Bund akzeptiert. Das Bundessozialgericht (BSG) hat mit seiner Urteilsserie vom 20. Juli 2023 – B 12 R 15/21 R – dem Konstrukt allerdings eine Absage erteilt.

Im vorliegenden Rechtsstreit war der klagende Krankenpfleger als natürliche Person alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer einer sog. Pflege-GmbH. Diese schloss einen Dienstleistungsvertrag mit einer Krankenhausgesellschaft. Gegenstand des Dienstleistungsvertrages war die eigenverantwortliche Planung, Durchführung, Dokumentation und Überprüfung der stationären Krankenpflege auf der Intensivtherapiestation. Vereinbart war ein Stundenhonorar von 40,00 €. Die Pflege GmbH als Auftragnehmer war nicht verpflichtet, die Dienste in Person zu leisten, sondern berechtigt, nach Absprache mit dem Auftraggeber Hilfspersonen mit vergleichbarer Qualifikation einzusetzen. Tatsächlich erbracht wurden die Tätigkeiten allerdings ausschließlich von dem Gesellschafter und Geschäftsführer als natürlicher Person. Die Vertragsparteien waren sich darüber einig, dass durch die jeweilige Vereinbarung zwischen ihnen kein Arbeitsverhältnis begründet werden sollte. Der Auftragnehmer sollte zudem keinen Weisungen des Auftraggebers unterworfen sein.

Die Deutsche Rentenversicherung Bund stellte die Versicherungspflicht des klagenden Krankenpflegers aufgrund Beschäftigung bei der Krankenhausgesellschaft fest. Die Vorinstanzen lehnten dies überwiegend mit dem Argument ab, die maßgebliche Dienstleistungsvereinbarung sei mit der PflegeGmbH als Kapitalgesellschaft und nicht mit dem Kläger als natürlicher Person geschlossen worden. Auch im Sozialversicherungsrecht sei die jeweils eigenständige Rechtssubjektivität von natürlicher und juristischer Person zu beachten. Die Rechtspersönlichkeit beteiligter juristischer Personen könne nicht „hinwegfingiert“ werden. Ein Scheingeschäft wegen Missbrauchs der Rechtsform läge nicht vor. Das BSG ließ es offen, ob vorliegend ein Fall der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung und damit eine Fiktion eines Arbeitsverhältnisses anzunehmen war, da die Tätigkeit des Klägers allein nach der im Sozialversicherungsrecht herrschenden Eingliederungstheorie statusrechtlich zu beurteilen ist. Nach Auffassung des BSG entscheiden über das Vorliegen einer Beschäftigung auch hier die jeweiligen konkreten tatsächlichen Verhältnisse der Tätigkeit, aus denen sich die Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation und eine Weisungsgebundenheit ergibt. Daran ändert – so das BSG – auch der Umstand nichts, dass der Dienstleistungsvertrag allein zwischen der Krankenhausgesellschaft als Auftraggeberin und der Pflege-GmbH als Auftragnehmerin geschlossen wurde. Die Abgrenzung richte sich vielmehr nach dem Geschäftsinhalt, der sich aus den ausdrücklichen Vereinbarungen der Vertragsparteien und der praktischen Durchführung des Vertrages ergibt. 

Hinweise für die Praxis 

Die Entscheidung des BSG zeigt, dass sich eine Scheinselbstständigkeit insoweit nicht einfach durch eine GmbH-Gründung ausschließen lässt, da die Tätigkeit eines Gesellschafter-Geschäftsführers einer Ein-Personen-Gesellschaft nicht bereits deshalb als selbstständige Tätigkeit zu qualifizieren ist, weil die vertraglichen Beziehungen allein zwischen den juristischen Personen bestehen. Es kommt auch in dieser Konstellation auf das Gesamtbild der Tätigkeit, insbesondere auf die Eingliederung in den Betrieb des Auftraggebers an. Vor diesem Hintergrund sollten insbesondere Auftraggeber, die in der Vergangenheit bereits Verträge mit Ein-Personen-GmbHs geschlossen haben, diese in rechtlicher und vor allem tatsächlicher Hinsicht auf das Risiko einer Scheinselbstständigkeit überprüfen lassen und klären, ob ggf. eine Nachmeldung der betroffenen Personen bei den Einzugsstellen mit entsprechender Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen in Betracht kommt. Für die Zukunft wären ggf. alternative Formen des Personaleinsatzes, wie z. B. befristete Anstellungsverträge oder eine legale Arbeitnehmerüberlassung, oder die Durchführung von Status-Verfahren in Betracht zu ziehen.

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