Dauerbrenner Scheinselbstständigkeit
Dauerbrenner Scheinselbstständigkeit
Zur Erinnerung: Scheinselbstständigkeit liegt begrifflich vor, wenn ein als selbstständig eingestufter und betitelter Auftragnehmer nach objektiven Kriterien ein abhängig Beschäftigter ist und als solcher sozialversicherungspflichtig angemeldet werden müsste. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich nach § 7 SGB IV und damit der Frage, ob eine abhängige Beschäftigung im jeweiligen konkreten Fall vorliegt. Anhaltspunkte für eine abhängige Beschäftigung sind gemäß § 7 SGB IV eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Ob diese beiden vom Gesetz vorgegebenen Anhaltspunkte vorliegen oder nicht, beurteilt sich nach zahlreichen weiteren Kriterien. Vorzunehmen ist im Ergebnis immer eine Gesamtbetrachtung aller in Betracht kommenden Kriterien im konkreten Einzelfall.
Im vorliegenden Rechtsstreit bot die klagende Volkshochschule u. a. Kurse zur Vorbereitung auf die Erlangung eines Realschulabschlusses auf dem zweiten Bildungsweg an. Der beigeladene Student vereinbarte mit ihr, auf der Basis eines freien Mitarbeiterverhältnisses im Rahmen solcher Kurse in zwei Fächern als Dozent Unterricht zu erteilen. Nach den Vertragsbedingungen wurde ein Weisungsrecht der Klägerin ausgeschlossen. Die Klägerin stellte die Unterrichtsräume zur Verfügung und stimmte die Unterrichtseinheiten zeitlich mit dem Beigeladenen und den anderen Dozenten ab. Den Unterricht gestaltete der Beigeladene selbstständig. Er übermittelte regelmäßig eine Leistungseinschätzung für die einzelnen Schüler*innen an die Fachbereichsleitung, die diese in einer Art Zwischenzeugnis von allen Lehrer*innen zusammenstellte.
Die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) stellte Versicherungspflicht aufgrund des Vorliegens einer abhängigen Beschäftigung fest. Das Sozialgericht hob die Bescheide in erster Instanz auf, da es von einer selbstständigen Tätigkeit ausging. Das Landessozialgericht wies die gegen die Entscheidung des Sozialgerichts eingelegte Berufung der DRV zurück. Zur Begründung führte es aus, dass es für die Zeit vor Juni 2022 eine maßgebliche höchstrichterliche „Sonderrechtsprechung“ gegeben habe, nach der lehrende Tätigkeiten grundsätzlich als selbstständige Tätigkeiten zu beurteilen gewesen seien (insbesondere BSG-Urteil vom 12. Februar 2004, Az. B 12 KR 26/02 R). Erst durch das BSG-Urteil vom 28. Juni 2022 (Az. B 12 R 3/20 R – sog. Herrenberg-Urteil) sei eine Änderung eingetreten. Auf davor liegende Zeiträume seien die vermeintlich geänderten Grundsätze nicht übertragbar.
Der 12. Senat des BSG widersprach in seiner aktuellen Entscheidung dieser Auffassung und hob das Urteil des Landessozialgerichts auf. Nach den maßgeblichen Verhältnissen des Einzelfalls war – nach Auffassung des BSG – der Beigeladene aufgrund Beschäftigung jedenfalls in der Zeit vom 7. August 2017 bis zum 22. Juni 2018 versicherungspflichtig beschäftigt. Hinsichtlich der späteren Zeiträume hat der Senat die Sache zur Durchführung weiterer Ermittlungen an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Einen Vertrauensschutz der klagenden Volkshochschule wegen unzumutbarer Belastung aufgrund der rückwirkenden Beitragsnachzahlung lehnte das BSG ab. Zudem verwies es darauf, dass eine gefestigte und langjährige Rechtsprechung, wonach eine lehrende Tätigkeit – insbesondere als Dozent an einer Volkshochschule – bei entsprechender Vereinbarung stets als selbstständig anzusehen wäre, nicht existiert. Daher könne sich die Volkshochschule auch nicht auf den Fortbestand einer früheren Rechtsprechung berufen. Entscheidungen über das Vorliegen sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungen beruhten – so das BSG – stets auf einer Einzelfallbeurteilung.
Hinweise für die Praxis
Der Schlusssatz dieser Zusammenfassung der Pressemitteilung des BSG bringt es vorliegend auf den Punkt. Es kommt bei der Frage, welchen Status eine als selbstständige*r Auftragnehmer*in eingesetzte Person hat, immer auf die Beurteilung der jeweils vorliegenden Kriterien im konkreten Einzelfall im Rahmen einer Gesamtbetrachtung an, unabhängig davon, ob es sich um Dozent*innen in Volkshochschulen oder sonstigen Einrichtungen, Musiklehrer*innen in Musikschulen, Berater*innen, IT-Dienstleister*innen oder sonstige als freie Mitarbeiter*innen eingesetzte Personen in verschiedensten Branchen handelt.
Zwar können u. U. Besonderheiten der jeweiligen Branche zu berücksichtigen sein. Im Grundsatz bleibt es jedoch dabei, dass sowohl die vertraglichen Bestimmungen als auch deren tatsächliche Umsetzung klare Anhaltspunkte für das Vorliegen einer selbstständigen Tätigkeit aufweisen müssen, um die Gefahr einer Scheinselbstständigkeit mit ihren weitreichenden – insbesondere finanziellen – Folgen (z. B. Nachentrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen, Bestehen eines Arbeitsverhältnisses etc.) zu vermeiden.
Prinzipiell sind die Auftragsverhältnisse, wie Tätigkeiten im Lehr- und Schulungsbereich, sowohl als abhängige Beschäftigung als auch als freie Dienstleistungsverhältnisse gestaltbar. Die Feststellungen der DRV tendieren in diesen Bereichen grundsätzlich zur Annahme abhängiger Beschäftigungsverhältnisse und lassen nach unseren Erfahrungen häufig eine hinreichende Gesamtbetrachtung sämtlicher relevanter Kriterien vermissen, sodass sich eine sorgfältige Prüfung entsprechender behördlicher Verfahren empfiehlt.
Gerne sind wir Ihnen bei der Erstellung entsprechender Freelancer-Verträge behilflich und unterstützen Sie im Hinblick auf die richtige Umsetzung des Vertragsverhältnisses bzw. bei der Durchführung von Statusverfahren o. Ä.
Dies ist ein Beitrag aus unserem Public Sector Newsletter 4-2024. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.
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