Herr Herold, Herr Sommer, am 1. Januar 2027 ersetzen die internationalen Bilanzierungsregeln IFRS 18 den bisherigen Standard IAS 1. Was ändert sich für Unternehmen, die nach dem neuen Standard bilanzieren?
Herold: Bislang gab es erhebliche Unterschiede bei der Strukturierung der Gewinn- und Verlustrechnung, insbesondere, wie Unternehmen ihre Performance darstellen. Aufwände und Ertragskomponenten, die in einzelnen Zwischensummen aufgehen, unterscheiden sich zum Teil erheblich voneinander. Es ist ein Hauptanliegen des neuen Standards, hier eine bessere Vergleichbarkeit herzustellen.
Sommer: Mit IFRS 18 ändert sich, wie Unternehmen über ihre Financial Performance berichten. Dazu kommt eine gesonderte Anhangangabe zu bestimmten Management Performance Measures, und einzelne Abschnitte der GuV werden neu untergliedert.
Welche Unternehmen betrifft der neue Bilanzierungsstandard?
Sommer: Jedes, das verpflichtend nach IFRS bilanziert, weil es zum Beispiel in der Europäischen Union an einem geregelten Kapitalmarkt gelistet ist – im Ergebnis sind das etwa 500 Firmen. Dazu kommen Gesellschaften, die faktisch nach IFRS berichten müssen, weil sie zum Beispiel in einem Private-Equity-Umfeld eingebunden sind oder weil sie aktuell überlegen, von lokaler Rechnungslegung auf IFRS umzustellen. Der Vollständigkeit halber sei gesagt, dass der neue Bilanzierungsstandard noch nicht in europäisches Recht übernommen worden ist. Aber sobald dies geschehen ist, wird er auch für Unternehmen relevant, die sich im Moment in der Entscheidungsphase befinden, ihre Rechnungslegung umzustellen.
Herold: IFRS 18 betrifft zudem auch deutsche Tochterunternehmen europäischer Konzerne. Die veröffentlichen meist zwar selbst keine eigene Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung. Aber sie werden Vorgaben bekommen, umzustellen, wenn die Mutter nach neuem Standard berichten muss.
Startzeitpunkt des neuen Standards ist der 1. Januar 2027 – das scheint von heute aus noch viel Zeit zu sein. Warum sollten betroffene Unternehmen dennoch schon jetzt mit den Vorbereitungen anfangen?
Sommer: Weil praktisch bereits das Geschäftsjahr 2026 – wenn der Berichtszeitraum das Kalenderjahr ist – entsprechend aufbereitet werden muss, um in der Bilanz 2027 die richtigen Vorjahresangaben machen zu können. Damit bleiben nur noch wenige Monate für die Vorbereitung, damit Unternehmen mit Beginn des kommenden Jahres richtig starten können. Schließlich sind erhebliche Anpassungen in der IT und bei den Berichtssystemen vorzunehmen. Allein vor diesem Hintergrund hat die Umstellung Dringlichkeit.
Herold: Zu berücksichtigen ist auch, dass es unter Umständen Kreditvereinbarungen mit Banken gibt, die auf spezielle KPIs abzielen, die sich wiederum aus der Gewinn- und Verlustrechnung ergeben. Und dann vielleicht auch ein Management-Vergütungssystem, das auf der GuV basiert. All das ist nicht kurzfristig zu bewältigen. Es muss über einen gewissen Zeitraum eingesteuert, geplant und dann strukturiert durchgeführt werden.
Warum tut der Aufsichtsrat gut daran, die rechtzeitige Umstellung anzustoßen und sich laufend darüber berichten lassen?
Herold: Die Hauptaufgabe des Aufsichtsrats in Bezug auf den Abschluss findet einerseits im Prüfungsausschuss statt, der sich mit der Überwachung des Rechnungslegungsprozesses und der Wirksamkeit des internen Kontrollsystems beschäftigt. Und dann muss andererseits der gesamte Aufsichtsrat den Konzernabschluss prüfen und freigeben. Eventuell hängt auch die Vorstandsvergütung, für die der Aufsichtsrat verantwortlich ist, vom Abschluss ab. Mit der Umstellung ändern sich Prozesse und Zahlenangaben. Daher ist der Aufsichtsrat gut beraten, den Vorstand zu fragen, ob und mit welchem Timing er das Projekt aufgesetzt hat. Und welche Änderungen sich damit bei einzelnen Kennzahlen ergeben, über die berichtet wird.
Wo sehen Sie die größten Herausforderungen bei der Implementierung des neuen Standards?
Sommer: Eine große Herausforderung wird sein, dass sich in der Darstellung des Zahlengewerks Änderungen ergeben – und damit auch im ERP-System, wie Daten erfasst und die Informationen daraus im System erzeugt werden. Es gibt ein anderes Design, andere Funktionen – kurzum: eine maßgebliche Änderung, wie Sachverhalte erfasst und ausgewiesen werden. Eine Sondersituation kann zudem entstehen, wenn im Unternehmen gerade schon ERP-Projekte laufen, wie zum Beispiel eine Implementierung von SAPS/4HANA. Dann muss sichergestellt werden, dass die neuen Anforderungen durch IFRS 18 in diese laufenden Projekte eingepflegt werden. Dazu müssen die beteiligten Fachabteilungen Hand in Hand arbeiten.
Herold: Ein kritischer Punkt ist die Arbeitsbelastung, die mit der Umstellung auf Unternehmen zukommt. Die Mitarbeiter*innen in den Fachabteilungen haben ihre Regelaufgaben zu bewältigen. Die Implementierung des neuen Standards kommt dann on top. Zudem ist zu überlegen, welche relevanten Stakeholder anzusprechen sind. Dazu sollten neben den unmittelbaren Fachabteilungen auch die Kolleg*innen von Investor Relations und der Unternehmenskommunikation frühzeitig mit einbezogen werden.
Welcher Zeithorizont ist für das Umstellungsprojekt realistisch?
Sommer: Das ist pauschal schwer zu sagen. Dabei spielen viele Faktoren eine Rolle – etwa Unternehmensgröße, internationales Geschäftsgebiet, Zahl der Tochterunternehmen, eine homogene oder eher heterogene IT-Umgebung und so weiter. Und es spielt auch diese Frage eine Rolle: Gibt es unterschiedliche Geschäftsmodelle innerhalb eines Konzerns? Das kann die Komplexität des Projekts enorm erhöhen – insbesondere, wenn es zusätzlich Finanzierungsdienstleistungen etwa zur Absatzfinanzierung bereitstellt. In den meisten Fällen sollten etwa drei bis neun Monate veranschlagt werden.
Für welche Unternehmen ist es sinnvoll, sich externe Unterstützung ins Haus zu holen? Worin liegt dabei der konkrete Mehrwert?
Herold: Ein wichtiger Punkt ist die Lernkurve. Gerade am Anfang wissen viele Unternehmen nicht, wie sie vorgehen sollen und was kritische Themen sind. Mit Berater*innen können sie diese Phase zügig durchlaufen. So haben sie Unterstützer*innen, die sie vom Start weg auf die wichtigen Punkte hinweisen, das Projekt aus ihrer Erfahrung bei anderen Projekten sinnvoll durchstrukturieren können und wissen, wo Herausforderungen liegen. Zeitaufwendige Fehler, die Unternehmen bei einem Trial-and-Error-Ansatz machen, werden so vermieden.
Sommer: Der zusätzliche Vorteil von Berater*innen ist, dass sie einen konstanten Know-how-Transfer und Schulungen für die Mitarbeiter*innen organisieren können, sodass das Projekt über die daraus entstehenden Strukturen ab einem gewissen Zeitpunkt in die Hände des Unternehmens übergeben werden kann.