„Friedrich Merz muss den Reset-Knopf drücken“

Der Mittelstand steckt in der Krise – und mit ihm der Glaube an den Standort Deutschland. Professor Peter May berät familiengeführte Unternehmen, kennt ihre Sorgen und beobachtet eine wachsende Resignation. Im Board-Briefing-Interview analysiert er die Ursachen, kritisiert politische Versäumnisse – und erklärt, was die neue schwarz-rote Bundesregierung jetzt tun muss, damit die Wende gelingt.

Herr Professor May, wie geht es dem deutschen Mittelstand?

Schlecht. Die aktuelle Wirtschaftskrise trifft Mittelständler härter als große Konzerne. Sie sind häufig stärker von einzelnen Kunden oder Branchen abhängig, verfügen über geringere Reserven und leiden überproportional stark unter den Schwächen des Standortes, wie Bürokratie und Fachkräftemangel. Grundsätzlich gilt: Geht es Deutschland schlecht, leidet auch der Mittelstand.

Wie blicken die mittelständischen Unternehmer*innen, die Sie beraten, in die Zukunft?

Eher pessimistisch. Früher galten drei Themen als nahezu tabu: Verkaufen, Aufhören, Auswandern. Heute denkt eine wachsende Zahl meiner Mandantinnen und Mandanten ernsthaft über genau diese Optionen nach.

Wieso Auswandern?

Weil wir in Deutschland seit rund 20 Jahren eine mittelstandsfeindliche Politik erleben. Die politisch Verantwortlichen haben Mittel in die Sozialsysteme umgeleitet, anstatt in die Zukunft des Landes zu investieren.  Das Ergebnis sehen wir inzwischen überall: marode Straßen, Brücken und Schienen – mit erheblichen Folgen für die Betriebe. Hinzu kommt eine überbordende Bürokratisierung mit immer neuen Nachweis- und Berichtspflichten, die gerade kleine und mittlere Unternehmen stark belasten. Sie können es sich schlicht nicht leisten, solche Aufgaben an spezialisierte Dienstleister auszulagern.

Was erwartet der Mittelstand also vom neuen Bundeskanzler Friedrich Merz?

Dass er den Reset-Knopf drückt und das Land wieder zukunftsfähig macht. Dazu gehört zunächst, die Probleme und das Ausmaß der Aufgabe realistisch zu benennen. Anschließend braucht es eine Vision: Wie soll Deutschland in zehn Jahren aussehen? Eine langfristige Zielvorstellung, für die Menschen auch bereit sind, sich anzustrengen und kurzfristig Opfer zu bringen. Kurz gesagt: Wir brauchen wieder eine Aufbruchstimmung – im Mittelstand und darüber hinaus.

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Welche konkreten Maßnahmen sind nötig?

Ich sehe drei wirtschaftspolitische Schwerpunkte. Erstens eine Infrastrukturoffensive – der Mittelstand profitiert davon doppelt: Einerseits ist er auf funktionierende Verkehrs- und Versorgungsnetze angewiesen, andererseits sind es oft mittelständische Betriebe, die Straßen, Gleise und Gebäude sanieren oder neu errichten. Gelingt es der neuen Regierung, die vorgesehenen 500 Mrd. € gezielt in solche Projekte zu investieren, wäre das ein gewaltiges Konjunkturprogramm für den Mittelstand.

Zweitens brauchen wir einen entschlossenen Bürokratieabbau, der die Unternehmen entlastet und ihnen erlaubt, sich wieder auf ihr Geschäft zu konzentrieren.
Drittens ist eine umfassende Steuerreform notwendig – mit dem Ziel, das komplizierte deutsche Steuersystem radikal zu vereinfachen, Schwarzarbeit unattraktiv zu machen und den Spielraum für faire Abgabensenkungen zu vergrößern. Das entlastet nicht nur Unternehmen, sondern auch Verbraucher – und stärkt die Binnennachfrage.

Die neue Regierung aus CDU und SPD nimmt in diesen Tagen ihre Arbeit auf, die sich erst im Laufe der Legislaturperiode sinnvoll wird beurteilen lassen. Blicken wir also auf den Koalitionsvertrag: Welche Punkte machen Ihnen Hoffnung?

Es ist vor allem die angekündigte Infrastrukturoffensive, die hoffen lässt. Auch die Investitionen in die Bundeswehr sind gut und richtig, um Autokraten aus aller Welt nicht wehrlos ausgeliefert zu sein. Aber bei den anderen Schwerpunkten, die ich genannt habe, ist noch viel Luft nach oben. Ein Reset ist das nicht.

Politische Rahmenbedingungen sind entscheidend – doch zum Erfolg gehört auch eine kluge Unternehmensführung. Welche Strategien empfehlen Sie Mittelständlern in schwierigen Zeiten?

Entscheidend ist die Fähigkeit zur kontinuierlichen Erneuerung – gerade bei familiengeführten Unternehmen. Auch Geschäftsmodelle, die über Generationen getragen haben, gehören auf den Prüfstand gestellt. Ich beobachte bei vielen meiner Mandanten einen Wandel vom klassischen Familienunternehmen hin zum Family Investment Office, das breiter investiert. Den übrigen möchte ich raten, offen für neue Wege und Lösungen zu bleiben. Umbruch schafft nicht nur Risiken, sondern auch Chancen für kreative Zerstörer. Die Welt verändert sich – und wir verändern uns mit ihr, ob wir wollen oder nicht. In der Politik wie in der Wirtschaft stellt sich am Ende eine zentrale Frage: Verändern wir uns schnell genug?

Zur Person

Peter May ist einer der renommiertesten Experten für Familienunternehmen in Deutschland. Der promovierte Betriebswirt lehrt als Honorarprofessor an der WHU – Otto Beisheim School of Management, mit seiner Family Business Consulting GmbH berät er seit mehr als zwei Jahrzehnten Unternehmerfamilien in strategischen Fragen.

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