Die Mehrheit der deutschen Unternehmen sieht die ausreichende Verfügbarkeit von Arbeitskräften als größte Herausforderung der Zukunft. Das geht aus dem Anfang Mai veröffentlichten „Betriebspanel“ des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hervor. Demzufolge erwarten mehr als acht von zehn Betrieben (84 %) Personalprobleme. Als weitere Problemfaktoren werden die Lohnkosten, ein hoher Weiterbildungsbedarf, lange Fehlzeiten sowie überalterte Belegschaften genannt. Insgesamt nahmen an der regelmäßig durchgeführten Befragung rund 16.000 Firmen teil.
Gerade eine*r von zehn Beschäftigten fühlt noch eine enge Bindung zur Firma
Verschärft wird die Situation durch die Stimmungslage aufseiten der Mitarbeiter*innen. Demnach fühlten sich im vergangenen Jahr nur noch 9 % von ihnen ihrem Arbeitgeber emotional hoch verbunden. Zu diesem Ergebnis kommt der „Gallup Engagement Index Deutschland 2024“, dessen Wert damit erstmals in den einstelligen Bereich abgesunken ist. Weil auf der anderen Seite die Zahl der Mitarbeiter*innen ohne emotionale Bindung stark zugenommen hat, kommen die Auto*rinnen der Studie zu dem erschreckenden Ergebnis: Die überwältigende Mehrheit der Arbeitnehmer*innen – exakt 78 % – macht nur noch „Dienst nach Vorschrift“. Als Folge der deutschen Wirtschaft im vergangenen Jahr mindestens 113,1 Mrd. € aufgrund von innerer Kündigung und daraus resultierenden Produktivitätsverlusten verloren.
Auf die Führungsqualität der Vorgesetzten kommt es jetzt entscheidend an
Was sind die Gründe für diese gegenläufige Entwicklung – und wie stark klaffen der Anspruch der Betriebe, attraktive Arbeitsplätze zu bieten, und die Realität auseinander? IAB-Wissenschaftler Dr. Christian Hohendanner ordnet es so ein: „Bei der Schaffung von attraktiven Arbeitsbedingungen steht in der Diskussion häufig der Lohn im Vordergrund. Nicht minder wichtig ist jedoch die Führungsqualität der Vorgesetzten, denn Anerkennung und Wertschätzung der Arbeit sind ebenso relevant wie die Aufstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten.“ Um Frauen mit höheren Arbeitszeitanteilen in den Arbeitsmarkt zu integrieren und zu halten, ist zudem die Vereinbarkeit von Familie und Beruf von großer Bedeutung. Gerade für Betriebe mit ungünstigen Arbeitszeiten – dazu gehören Schicht- oder Wochenendarbeit sowie Rufbereitschaft – sei es nicht leicht, Beschäftigte zu rekrutieren. „Es ist dann wichtig, die richtigen Vereinbarungen und Modelle mit den Beschäftigten gemeinsam zu entwickeln“, sagt der Arbeitsmarktexperte.
Trotz steigender Arbeitslosigkeit ist zudem die Situation auf dem Arbeitsmarkt eine andere als noch vor 10 oder 15 Jahren. Arbeitgeber müssen aus Sicht von Hohendanner heute viel stärker um Mitarbeiter*innen werben, statt wie früher aus einer großen Zahl an Bewerber*innen auswählen zu können: „Der demografische Wandel ist kein Zukunftsthema mehr. Wir sind mittendrin.“ Und er fährt fort: „Unternehmen, die Schwierigkeiten haben, offene Stellen zu besetzen, sollten daher ihre HR-Strategie anpassen und attraktivere Arbeitsplätze nebst einer angemessenen Bezahlung bieten, um im schärfer werdenden Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt bestehen zu können.“
Doch eine Art „Annahmezwang“, jedes freie Talent einstellen zu müssen, gibt es auch nicht für die Firmen, beruhigt Hohendanner: „Die Beschäftigungsbeziehung ist immer ein reziprokes Vertragsverhältnis, bei dem beide Seiten ihren Teil des Deals erfüllen müssen.“ Was sich allerdings verändert hat: Viele Beschäftigte haben heute wesentlich mehr Optionen auf dem Arbeitsmarkt. Hohendanner: „Über die Hälfte aller Personalabgänge ist auf Kündigungen durch die Beschäftigten zurückzuführen. Für Betriebe ist die damit einhergehende Fluktuation ein Kostenfaktor. Unternehmen müssen also aktiv an der Mitarbeiterbindung arbeiten, um das bestehende Personal zu halten.“
Hohe Bindung gleich weniger Fehlzeiten, weniger Kündigungen und höhere Weiterempfehlungsraten
Dabei gibt es für den Arbeitsmarktexperten kein One-size-fits-all-Rezept: „Die Daten des IAB-Betriebspanels machen deutlich, dass sich Personalprobleme und deren Bedeutung stark nach Branche, Betriebsgröße, Region oder der spezifischen Zusammensetzung des Personals unterscheiden“, stellt er fest. Doch eines haben die meisten Unternehmen gemeinsam: eine nachlassende Bindung zwischen ihnen und ihrer Belegschaft. Für Führungskräfte gibt es in diesem Feld demnach eine Menge zu verbessern. Eine stärkere emotionale Bindung der Mitarbeiter*innen ist laut Gallup-Studie ein „Booster für die Performance“. Das zeigt sich in Form geringerer Fehlzeiten, einer nachlassenden Wechselbereitschaft und einer hohen Weiterempfehlung. Emotional hoch gebundene Mitarbeiter*innen fehlen im Schnitt 2,9 Tage weniger pro Jahr als Beschäftige ohne emotionale Bindung. Und: Nur 30 % der emotional hoch gebundenen Arbeitnehmenden sind offen für Neues, 70 % haben kein Interesse an Angeboten anderer Arbeitgeber. 60 % der emotional hoch gebundenen Beschäftigten würden die Produkte oder Dienstleistungen ihres Arbeitgebers aktiv weiterempfehlen – verglichen mit nur 37 % der Menschen mit geringer emotionaler Bindung. Das zahlt sich auch beim Recruiting aus: 60 % der emotional hoch gebundenen Mitarbeiter*innen empfehlen ihren Arbeitgeber Freunden und Angehörigen.