Herr Jakobs, Sie sind Jahrgang 1956 und damit, wie Sie auf Ihrer Homepage schreiben, „knapp vor Ausbruch des Wirtschaftswunders“ geboren. Welche Zutaten von damals fehlen uns heute, damit es wirtschaftlich wieder aufwärts geht in Deutschland?
Was wir schleunigst brauchen, ist eine veränderte Grundstimmung, eine neue Sicht auf die Dinge. Es geht mir nicht darum, die Probleme kleinzureden. Ich bin kein Regierungssprecher. Aber wir sollten bei aller Fixierung auf die Probleme verstärkt über die Chancen reden. Das ist das, was Deutschland in der Vergangenheit immer stark gemacht hat. Dass wir auch unter extremen Umständen Lösungen finden, nach vorne schauen, uns weiterentwickeln und so für Wachstum sorgen.
Leichter gesagt als getan in diesen Wendezeiten. Sie haben als Wirtschaftsredakteur, -ressortchef und Chefredakteur bei Topmedien wie „Handelsblatt“, „Spiegel“ oder „Süddeutsche Zeitung“ die Konzerne und mittelständischen Unternehmen sowie die bundesrepublikanische Wirtschaftspolitik über Jahrzehnte verfolgt. Ist es wahr, dass die Lage noch nie so herausfordernd war wie heute?
Wir erleben derzeit ohne Frage schwierige Zeiten und eine multiple Krise. Doch das darf nicht zur Schutzbehauptung werden. CEOs sind nach wie vor auf der Brücke und können ihre Unternehmensschiffe eigenhändig durch den Sturm steuern. Sie erwähnten in Ihrer Einstiegsfrage das Wirtschaftswunder nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg. Wenn wir die Situation heute mit der des komplett zerstörten Deutschlands nach 1945 vergleichen, relativiert sich doch vieles.
Die wichtigsten strategischen Prioritäten der deutschen Führungskräfte auf C-Level für die kommenden drei bis fünf Jahre konzentrieren sich auf drei zentrale Handlungsfelder: Talentgewinnung und -bindung, internationale Expansion sowie technologische Transformation. Das zeigt das aktuelle C-Suite-Barometer von Forvis Mazars, für das Ende 2024 rund 1.700 C-Level-Führungskräfte aus mehr als 35 Ländern weltweit befragt wurden. Deckt sich das mit Ihrer Sicht auf die Prioritätenliste?
Absolut. Die Befragung macht zugleich deutlich, dass unser bisheriges, extrem auf den Export ausgerichtetes Geschäftsmodell in der neuen Wirtschaftswelt mit starken, zunehmend abgeschotteten und autokratisch regierten Blöcken im Osten wie jetzt auch im Westen nicht mehr lange trägt.
Der neuerliche Amtsantritt von Donald Trump im Januar 2025 hat alles verändert, das Auseinanderdriften der Welt nimmt zu statt ab. Ist das aus Ihrer Sicht eine umkehrbare Momentaufnahme oder ein langfristiger Trend?
Machen wir uns nichts vor. Die demokratischen Vorgänger von Trump waren im Ton zwar wesentlich freundlicher und lagen uns mehr. Aber in der Sache handelten sie ähnlich. Bereits für Barack Obama lag der Schwerpunkt mehr auf Asien als auf Europa. Wir werden derzeit Zeugen eines globalen Machtspiels auf allen Ebenen zwischen den USA und China.
Sind wir dabei nur Zuschauer? Wie können sich Deutschland und Europa wirtschaftlich emanzipieren?
Wir brauchen in ganz Europa mehr Dynamik. Der Schlüssel dazu ist der konsequente Ausbau des Binnenmarkts und ein einheitlicher europäischer Kapitalraum. Selbst innerhalb unseres Kontinents gibt es noch viel zu viele Barrieren, die Investitionen erschweren oder gar verhindern. Und speziell Deutschland braucht Innovationen, Innovationen, Innovationen. Frankreich macht mit seiner rasanten Entwicklung in Sachen künstlicher Intelligenz und der Initiative „Choose France“ vor, was jetzt zu tun ist. Doch nicht allein aus wirtschaftlichen, auch aus politischen Gründen benötigen wir die Daten- und Technologiesouveränität. Die vergangenen Wochen haben uns gelehrt, dass wir uns selbst auf unseren alten Verbündeten, die Vereinigten Staaten, nicht mehr verlassen können und dürfen. Wir dürfen in Zukunft niemals wieder von russischem Gas abhängig sein – aber auch nicht von amerikanischen Servern.
Was bedeutet das denn für das etablierte „made in Germany“? Wie ließe sich dieses Narrativ neu aufladen?
Wir müssen der Welt und damit unseren Handelspartnern klarmachen, dass wir nicht länger nur ordentliche Autos mit veralteter Software im Angebot haben. Sondern auch in Sachen Hightech wettbewerbsfähig sind. Dazu gehört wesentlich, die Forschung zu stärken. Wir haben nachweislich Spitzenuniversitäten. Aber noch immer wird hierzulande aus den vielen sehr guten Ideen zu wenig Markterfolg. Wir brauchen mehr Spin-offs und Firmenschmieden wie UnternehmerTUM, das
Münchener Zentrum für Innovation und Gründung. Dann schaffen wir es auch, noch mehr Forscher*innen aus den USA (zurück-) zu holen. Diese Bewegung setzt gerade ein. Daher sollten wir im Markenkern von „made in Germany“ klar herausstellen, was uns in SachenDatenschutz, Verbraucherrechte, geistiges Eigentum oder demokratische Teilhabe von anderen Nationen unterscheidet.
Laut Forvis Mazars Umfrage planen 90 % der befragten C-Level-Führungskräfte aus Deutschland in den kommenden fünf Jahren eine (weitere) internationale Expansion. Was muss sich wirtschaftspolitisch hierzulande ändern, damit auch Deutschland wieder zum Ziel von mehr Direktinvestitionen wird?
Zum einen brauchen wir dringend den eingangs erwähnten Stimmungswechsel. Bekanntlich sind 50 % der Ökonomie Psychologie. Da hat sich zuletzt einiges zum Positiven hin verändert – der Vorstandschef der Förderbank KfW sagte jüngst in einem Interview, einen so „rasanten Stimmungswechsel“ hin zum Besseren wie jetzt in Deutschland habe er in seiner gesamten Berufszeit noch nicht erlebt. Das stimmt mich vorsichtig positiv. Aber ohne tiefgehende Reformen wird das kein Selbstläufer. Wir müssen vor allem die Komplexität für die Unternehmen reduzieren. Da hat die neue Bundesregierung mit dem Ministerium für Digitalisierung und Staatsmodernisierung einen ersten wichtigen Schritt getätigt – weitere müssen folgen. Aber auch die deutschen Unternehmer*innen müssen umdenken …
Inwiefern?
Viele haben sich in den vergangenen Jahren, ob berechtigt oder nicht, in den Schmollwinkel zurückgezogen. Doch Demokratie, Wirtschaft und Gesellschaft leben davon, dass sich alle einbringen in die Politik. Und gerade Unternehmer*innen haben eine Menge beizutragen. Eine neue Lust auf Innovation geht nur mit ihnen zusammen.
Zur Person
Hans-Jürgen Jakobs zählt zu den führenden Wirtschaftsjournalisten in Deutschland. 1985 volontierte der Diplom-Volkswirt bei der „Mainzer Allgemeine Zeitung/Wiesbadener Tagblatt“. Von 1990 bis 1993 leitete er das Wirtschaftsressort der „Münchner Abendzeitung“, wechselte danach als Redakteur zum „Spiegel“. 2001 folgte der Sprung zur „Süddeutschen Zeitung“, zuletzt war er dort Ressortleiter Wirtschaft. Von Februar 2013 bis Ende 2015 war Jakobs Chefredakteur des „Handelsblatts“. Seit 2016 ist der mehrfach preisgekrönte Journalist und Buchautor dort Senior Editor.