Aktionärsberater: Wie umgehen mit der neuen stillen Macht?

Immer mehr institutionelle Investoren lassen sich auf Hauptversammlungen von Aktionärsberatern vertreten. Professionelle Corporate-Governance-Strukturen und eine durchdachte Kommunikationsstrategie helfen vor allem Aufsichtsratsvorsitzenden, mit dem wachsenden Einfluss dieser Gruppe umzugehen.

„Vorschlag der Verwaltung mangels erforderlicher Stimmmehrheit abgelehnt!“ In der Berichterstattung über die diesjährige Siemens-Hauptversammlung Mitte Februar war dieses Ereignis nur eine Randnotiz. Dabei kommt es äußerst selten vor, dass die Aktionär*innen den Vorgaben von Vorstand und Aufsichtsrat auf dem Jahrestreffen nicht zustimmen. Mehrheiten von 90 % der vertretenen Stimmen sind üblich. Warum dieses Mal nicht?

Konkret ging es um Punkt 9 der Tagesordnung. Darin wollte sich der Vorstand die Ermächtigung sichern, die regulären Hauptversammlungen in den beiden kommenden Jahren weiterhin virtuell durchführen zu können. Mit rund 71 % Zustimmung verfehlte der Vorschlag die erforderliche Dreiviertelmehrheit. Die Hauptversammlung des Technologiekonzerns im kommenden Jahr findet daher wieder in Präsenz statt.

Ein Veto mit Folgen

Die Entscheidung dürfte auf den Einfluss des Unternehmens Institutional Shareholder Services (ISS) zurückzuführen sein. Der Aktionärsberater hatte im Vorfeld der Hauptversammlung den Aktionär*innen empfohlen, gegen die Ermächtigung zu stimmen. Grundsätzlich sollten virtuelle Aktionärstreffen nicht zur Regel werden, betont ISS in seinen Richtlinien, die im vergangenen Jahr überarbeitet wurden.

Der Vorgang zeigt die stille Macht der professionellen Aktionärsberater. Viele große, internationale Fondsgesellschaften, Pensionskassen und andere Finanzinvestoren lassen ihre Aktienrechte auf den Hauptversammlungen inzwischen von einer der international führenden Agenturen vertreten. Dazu gehören neben ISS unter anderem Glass Lewis, Ethos und Cerved. Sie beraten institutionelle Investoren bei der konkreten Ausübung ihrer Stimmrechte und versorgen sie laufend mit Informationen und Analysen zu ihren Beteiligungen. „Dass immer mehr Investoren entsprechende Mandate vergeben und sich lokal auf den Hauptversammlungen vertreten lassen, liegt daran, dass sie selbst über zu wenig Ressourcen verfügen, um alle Beteiligungen in ihrem Portfolio genau im Blick zu behalten“, beobachtet Charlotte Kulenkampff, Fachanwältin und Partnerin bei Forvis Mazars. „Insgesamt ist dadurch im Ergebnis der Einfluss der großen Dienstleister in den vergangenen Jahren zweifellos gestiegen.“ Allein die großen drei zum Beispiel repräsentieren auf Hauptversammlungen inzwischen nicht selten einen zweistelligen Anteil am vertretenen Grundkapital des Emittenten. „Aber dabei darf nicht vergessen werden, dass die professionellen Berater ihre Stimmen nur im Auftrag vertreten und nicht etwa selbst Aktionäre des Unternehmens sind“, hebt Kulenkampff hervor. Die Regelungen des Aktiengesetzes setzen zudem aus ihrer Sicht dem Einfluss der Aktionärsberater Grenzen – etwa durch entsprechende Transparenz- und Offenlegungspflichten und bei der Frage, wie mit Interessenskonflikten umzugehen ist.

Abstimmungsregeln der Berater zeigen Wirkung

Faktisch Einfluss nehmen die Beratungsfirmen allerdings mit ihren Abstimmungsregeln, die sie für sich selbst festlegen. Viele Investoren nutzen diese Voting-Guides als eine Art Kompass, an dem sie sich orientieren, auch wenn sie selbst ihre Stimmen nicht vertreten lassen. Dieser Mechanismus hat in der Vergangenheit immer wieder Wirkung gezeigt beim Abstimmungsverhalten etwa zur Managementvergütung. „Gerade bei ESG-Themen fehlen vielen Investoren die Kompetenz und die Ressourcen, den Mehrwert einer bestimmten Maßnahme oder Entscheidungsvorlage aus Shareholder-Perspektive abschätzen zu können“, sagt die Fachanwältin. „In diese Lücke springen die Aktionärsberater mit ihren Voting-Guides. Mit diesem Abstimmungskompass haben die Verwaltungen der Unternehmen eine Informationsquelle, an der sie sich orientieren können.

Doch wie sollen vor allem Aufsichtsratsvorsitzende mit Aktionärsberatern umgehen, wenn sie bislang noch keinen direkten Kontakt zu dieser Gruppe hatten? Etwa, wenn nach einem Börsengang die erste Hauptversammlung ansteht oder wenn bei nicht börsennotierten Firmen ein Finanzinvestor an Bord kommt, der seine Aktionärsrechte vertreten lässt? „Solche Anlässe sollten Vorstand und Aufsichtsrat nutzen, um schon im Vorfeld Corporate-Governance-Strukturen auf den Prüfstand zu stellen und so weit wie möglich zu professionalisieren“, empfiehlt Kulenkampff. „Dadurch lassen sich erfahrungsgemäß kritische Themen etwa vor einer Hauptversammlung identifizieren. Außerdem können die Unternehmen proaktiv stringente Kommunikationsstrategien entwickeln und zum Beispiel zusätzliche Informationen zu den Tagesordnungspunkten veröffentlichen, die das Abstimmungsverhalten im Sinne der Verwaltung wahrscheinlicher machen.“

Berater sind an ihr Mandat gebunden

Dass die Aktionärsberater im Stil eines aktivistischen Investors agieren, hält die Partnerin bei Forvis Mazars für nahezu ausgeschlossen. „Am Ende sind diese Dienstleister immer an ihr Mandat gebunden und müssen so stimmen, wie es ihnen ihre Kund*innen vorgeben – auch wenn es ihren Guidelines zuwiderläuft“, erläutert sie. „Dass ein Berater vor diesem Hintergrund eigenmächtig mit seiner Stimmmacht zum Beispiel die Tagesordnung erweitert – gegebenenfalls auf der Veranstaltung selbst –, ist schwer vorstellbar bis unmöglich – ganz abgesehen von der Frage, ob der Antrag im Einzelfall nach eingehender Prüfung durch das zuständige Organ formal und inhaltlich überhaupt zulässig ist.“

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