„Wir möchten Hauptversammlungen lebendiger machen“

Die Aktionärstreffen deutscher Aktiengesellschaften gelten als zäh und sind dementsprechend schlecht besucht. Henriette Peucker, Geschäftsführende Vorständin des Deutschen Aktieninstituts, spricht über Reformideen, um die Veranstaltungen attraktiver zu machen und einen offenen, konstruktiven Dialog zwischen Vorstand, Aufsichtsrat und den Aktionär*innen zu ermöglichen.

Frau Peucker, das Deutsche Aktieninstitut regt eine Reform des Aktiengesetzes an, um die Hauptversammlungen in Deutschland aktionärsfreundlicher zu gestalten. Was genau schlagen Sie vor?

Das Kernstück unserer Vorschläge ist eine Reform des Beschlussmängelrechts, sodass eine Anfechtung von Beschlüssen nur bei wesentlichen, also schweren Fehlern in der Auskunftserteilung möglich ist. Aus unserer Sicht darf das Beschlussmängelrecht keine missbräuchliche Drohkulisse gegen Unternehmen sein. Es regelt inhaltlich die Folgen eines Fehlers, der rund um die Beschlüsse einer Hauptversammlung entstehen kann. Anders als im Ausland führen in Deutschland schon kleinere Fehler dazu, dass ein Beschluss rückwirkend für unwirksam erklärt werden kann. Dabei löst bereits die Erhebung einer Anfechtungsklage aufgrund eines unhaltbar behaupteten Fehlers einen großen Reputationsschaden für das betroffene Unternehmen aus, gerade bei börsennotierten Emittenten. Das ist im Ergebnis eine große Belastung für die Durchführung der Hauptversammlung. Denn der Leiter, üblicherweise die oder der Vorsitzende des Aufsichtsrats, muss exakt darauf achten, dass nicht einmal der Anschein eines Fehlers entsteht. Die Veranstaltung folgt daher einem starren Verfahren und ist sehr formalistisch organisiert. Im Ergebnis wirkt sie daher langweilig und eintönig, weil stundenlang Antworten auf Aktionärsfragen vorgelesen werden, die juristisch zuvor bis ins Detail geprüft wurden. 

Welchen Effekt erhoffen Sie sich von den Maßnahmen?

Wir möchten damit Hauptversammlungen lebendiger machen. Sie haben mit der Zeit an Bedeutung verloren. Dabei ist ihre zentrale Funktion, die Aktionärinnen und Aktionäre zu informieren, damit diese fundierte Entscheidungen treffen können. Die ganzjährigen Publizitäts- und Berichtspflichten haben aber zu einem so guten und aktuellen Informationsstand geführt, dass die weit überwiegende Mehrheit der Aktionärinnen und Aktionäre ihre Stimme schon Wochen vor der Hauptversammlung abgibt. Dieser Umstand wiederum eröffnet den Spielraum, Hauptversammlungen eine weitergehende Bedeutung zu geben. Aktionärinnen und Aktionäre sowie Verwaltung wünschen sich beide einen Ort des konstruktiven Austauschs und der Zusammenarbeit. Warum nicht die Chance nutzen, die Hauptversammlung aufzuwerten? Dafür benötigen wir einen sicheren Rechtsrahmen, der eine lebendigere und offenere Debatte zwischen der Verwaltung und den Anteilseignerinnen und Anteilseignern ermöglicht. Das kann nur über eine Reform des Beschlussmängelrechts erreicht werden.

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Sie möchten, dass eine sichere und offenere Kommunikation zwischen Vorstand und Aktionär*innen unter Wahrung der Aktionärsrechte möglich ist. Dazu schlagen Sie unter anderem vor, dass Fragen vorab eingereicht werden, damit die Emittenten deren Beantwortung flexibler und dennoch rechtssicherer gestalten können. Besteht dabei nicht die Gefahr, dass kritische Themen diplomatisch abmoderiert werden oder der Vorstand bewusst im Unklaren gelassen wird?

Aus der Praxis sind mir solche Fälle nicht bekannt. Und das Gesetz ist hier auch eindeutig: Eine Auskunft muss nicht nur richtig, sondern auch vollständig sein. Daran wollen wir nichts ändern. Die schon heute mögliche Einreichung von Fragen im Vorfeld der Hauptversammlung wird von Unternehmen und Aktionärsvertretern kritisch gesehen. Sie bietet allerdings auch eine Chance, die teilweise über zwölf Stunden andauernden Hauptversammlungen zu entlasten. Aus diesem Grund schlagen wir vor, diese Option praxistauglich auszugestalten.

Aber lebt eine Hauptversammlung nicht auch aus der Debatte heraus?

Unser Vorschlag ist eine praxistaugliche Vorabeinreichung von Fragen. Er zielt gerade darauf ab, eine offenere Debatte zu ermöglichen. Im Gegensatz zur derzeitigen Regelung wollen wir eine Beantwortung der vorab eingereichten Fragen nicht nur auf der Webseite des Unternehmens, sondern auch in der Hauptversammlung erreichen. So können wir die Hauptversammlung entlasten und zugleich ermöglichen, dass die für Aktionäre interessanten Themen im Mittelpunkt stehen. Die von uns vorgeschlagene Reform des Beschlussmängelrechts bietet darüber hinaus eine weitere Chance. Nach der Beantwortung der vorab eingereichten Fragen könnte eine freie Debatte mit dem Vorstand erfolgen. Die notwendige Spontanität könnte dadurch erreicht werden, eine Anfechtung aufgrund von Fehlern nur in Ausnahmefällen zu erlauben – etwa bei vorsätzlich oder offensichtlich falschen Auskünften.

Welches Feedback haben Sie zu Ihren Vorschlägen bislang bekommen?

Wir haben sehr positives Feedback erhalten. Natürlich gab es auch Bedenken, aber die lassen sich in der Regel schnell ausräumen.

Seit einigen Wochen ist eine neue Bundesregierung im Amt. Sehen Sie Chancen, dass die angedachte Reform des Aktienrechts im Zuge einer gesamten Modernisierungsagenda im Justizministerium angegangen wird?

Der Reformbedarf des Beschlussmängelrechts ist bekannt. Eine Reform wurde auch im Koalitionsvertrag angekündigt. Außerdem gibt es sehr umfangreiche und komplexe Vorschläge. Die von uns skizzierten Änderungen zeigen auf, dass schon mit gezielten und einfachen Anpassungen die Attraktivität von Hauptversammlungen erhöht werden kann. Das wäre schnell umsetzbar. Wir sind zuversichtlich und werden uns als Aktieninstitut weiter in die Diskussion einbringen.

Zur Person

Henriette Peucker ist seit Juli 2024 Geschäftsführende Vorständin des Deutschen Aktieninstituts. Sie begann ihre Karriere in der Politikberatung in Paris und Brüssel und war ab 1997 im Investmentbanking bei Schroders (später Citigroup) in London tätig. Von 2003 bis 2010 verantwortete sie die politische Interessenvertretung der Gruppe Deutsche Börse in Berlin, Luxemburg und Brüssel. Anschließend beriet sie als Partnerin der Kommunikationsberatung Hering Schuppener (heute FGS Global) Unternehmen verschiedener Branchen insbesondere in regulatorischen Fragen. Beim Bundesverband deutscher Banken, den sie zeitweise kommissarisch führte, verantwortete sie als Stellvertretende Hauptgeschäftsführerin den Bereich „Politik und Innovation“.

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