Dauerbrenner Arbeitnehmerüberlassung: Unanwendbarkeit des Konzernprivilegs

Die Frage nach der Reichweite und Zuverlässigkeit des sog. Konzernprivilegs bei der Arbeitnehmerüberlassung ist ein Dauerbrenner. Unzählige Konzerne in Deutschland bauen auf das sog. Konzernprivileg und dem uneingeschränkten Einsatz ihrer Arbeitnehmer*innen über die jeweilige Unternehmensgrenze im Konzern hinaus. Denn das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) sagt ja in § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG, dass das AÜG (bis auf wenige Ausnahmen) nicht anzuwenden ist auf die Arbeitnehmerüberlassung zwischen Konzernunternehmen (im Sinne des § 18 AktG), wenn der*die Arbeitnehmer*in nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt wird.

Herumgesprochen hat sich mittlerweile, dass das Bundesarbeitsgericht (BAG) das „und“ zwischen eingestellt und beschäftigt in Wirklichkeit als „oder“ versteht: eingestellt „oder“ beschäftigt. Zum Ärgernis vieler Arbeitgeber, denn der Gesetzeswortlaut mit seinem „und“ ist ja eigentlich eindeutig. Wann aber genau wird denn ein*e Arbeitnehmer*in zum Zweck der Überlassung beschäftigt? Ein jüngstes Urteil des 8. Senats des BAG vom 12. November 2024 bringt mehr Klarheit in diese sehr praxisrelevante Frage.

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 12. November 2024 - 9 AZR 13/24

Das BAG stellt noch einmal klar, dass es an seiner Meinung zum „und“/“oder“ festhält: Die Anwendung des Konzernprivilegs ist nicht nur dann ausgeschlossen, wenn der*die Arbeitnehmer*in sowohl zum Zweck der Überlassung eingestellt als auch zu diesem Zweck beschäftigt wird, sondern bereits dann, wenn entweder die Einstellung oder die Beschäftigung Überlassungszwecken dient. Die Konjunktion „und“ in § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG beschreibe ein alternatives Verhältnis der Merkmale Einstellung und Beschäftigung. Dies ergebe sich aus einer dem Sinn und Zweck der Vorschrift und dem Willen des historischen Gesetzgebers entsprechenden Auslegung. Das Konzernprivileg ist damit nicht nur bei einer Überlassung von Arbeitnehmer*innen innerhalb des Konzerns ausgeschlossen, die von vornherein „zum Zweck der Überlassung eingestellt“ worden sind, sondern auch dann, wenn sie zwar nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt wurden, sich ihr späterer Einsatz in einem Konzernunternehmen jedoch als Beschäftigung „zum Zweck der Überlassung“ erweist. Die zwingenden Vorgaben des AÜG können nicht dadurch umgangen werden, dass der Arbeitsvertrag nach der Einstellung geändert und der*die Arbeitnehmer*in zum Zweck der Überlassung als Leiharbeitnehmer*in beschäftigt wird.

Das Vorliegen einer Einstellung und/oder Beschäftigung zum Zweck der Überlassung ist anhand des Arbeitsvertrags oder einer Gesamtbetrachtung der Umstände der Beschäftigung festzustellen.

  • Ein Indiz, dass der*die Arbeitnehmer*in zum Zweck der Arbeitnehmerüberlassung beschäftigt werden soll, ist auch dann gegeben, wenn er regelmäßig oder für einen außergewöhnlich langen Zeitraum an Dritte innerhalb oder außerhalb des Konzerns überlassen wird. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich insbesondere nach dem Unternehmenszweck des Vertragsarbeitgebers, der Dauer und Häufigkeit der Überlassung(-en), aber auch nach Häufigkeit und Dauer der Unterbrechungen sowie dem Anlass der Überlassung.
  • Bei der Bewertung der Überlassungsdauer ist ein Rückgriff auf feste Zeitgrenzen ausgeschlossen.
  • Ein Indiz für eine Beschäftigung zum Zweck der Überlassung, die das Konzernprivileg ausschließt, liegt vor, wenn die konzerninterne Überlassung auf Dauer oder für einen unbestimmten Zeitraum erfolgt bzw. erfolgen soll. In einem solchen Fall kann in der Regel nicht mehr davon ausgegangen werden, dass für den*der Arbeitnehmer*in eine Beschäftigung bei seinem Vertragsarbeitgeber vorgesehen ist.
  • Bei einer langfristigen Überlassung findet in der Regel eine Verlagerung des Schwerpunkts des Arbeitsverhältnisses statt. Diese äußert sich darin, dass der*die überlassene Arbeitnehmer*in einerseits dem Betrieb des Verleihers entfremdet und andererseits immer fester in die Betriebs- und Arbeitsorganisation des Entleihers eingegliedert wird.
  • Eine länger andauernde Überlassung kann andererseits unschädlich sein, wenn ihr ein sie rechtfertigender Anlass zugrunde liegt. Entscheidend sind stets die Gesamtumstände.
  • Besondere Bedeutung kommt dem Anlass der Überlassung zu: Liegt der Konzernleihe ein besonderer Anlass zugrunde, insbesondere ein solcher, der im Interesse des*der Arbeitnehmer*in liegt (z.B. Trainee, Vertretung; Einweisung, Schulung des*der überlassenen Arbeitnehmer*in) oder sind im fremden Konzernunternehmen besondere Aufgaben wahrzunehmen (z.B. Aufbauhilfe, Schulung von Mitarbeitenden des anderen Unternehmens), spricht dies indiziell gegen eine Beschäftigung zum Zweck der Überlassung.
  • Davon ist auch auszugehen, wenn der Grund für die Überlassung einem der in § 14 Abs. 1 Satz 2 TzBfG aufgezählten Befristungsgründe zuzuordnen ist.
  • Dient die Überlassung demgegenüber der Erledigung regelmäßig beim entleihenden Konzernunternehmen anfallender Aufgaben und liegt auch beim Vertragsarbeitgeber kein besonderer Grund für die Abgabe des*der überlassenen Arbeitnehmer*in vor, spricht dies für eine Beschäftigung zum Zwecke der Überlassung.

Fazit & Hinweis für die Praxis

Arbeitgeber müssen ihre Praxis der konzerninternen Überlassung von Arbeitnehmer*innen  regelmäßig überprüfen und ein Monitoring etablieren. Teil eines solchen „Internen Kontrollsystems“ der konzerninternen Überlassung von Arbeitnehmer*innen muss eine Kontrolle der Gründe für die jeweilige Überlassung sein. Diese sind zu analysieren und zu dokumentieren. Eine gute Dokumentation schützt Arbeitgeber vor Diskussionen mit Betriebsräten und den betroffenen Arbeitnehmer*innen. Dies gilt umso mehr, wenn das Geschäftsmodell einzelner Konzern-Unternehmen sich auf das Funktionieren der konzerninternen Arbeitnehmerüberlassung verlässt.

Autor: Dr. Andreas Eckhardt

Dies ist ein Beitrag aus unserem Newsletter „Menschen im Unternehmen“ 1-2025. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.

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