Paukenschlag mit Ansage: die Verhandlungspflicht bei Zielvereinbarungen
Verhandlungspflicht bei Zielvereinbarungen
Zielvereinbarung oder doch Zielvorgabe?
Um sich der Thematik anzunähern, bietet sich zunächst eine grundlegende Einordnung an. Die Zahlung von Boni und variabler Vergütung ist Bestandteil vieler Arbeitsverträge und dient über den bestehenden Grundlohn hinaus der Incentivierung von Arbeitnehmer*innen. Die Vereinbarung von variabler Vergütung kann unterschiedlich ausgestaltet sein und birgt je nach Ausgestaltung verschiedene rechtliche Fallstricke. Die häufigste Ausgestaltung einer erfolgsabhängigen variablen Vergütung sind sicherlich Zielvereinbarungen bzw. Zielvorgaben, welche durch eine arbeitsvertragliche Klausel, einen Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung geregelt werden können.
Der Unterschied zwischen Zielvorgabe und Zielvereinbarung liegt hauptsächlich in der Art und Weise, wie die Ziele festgelegt werden. Bei einer Zielvorgabe werden die Ziele einseitig vom Arbeitgeber festgelegt. Das bedeutet, der Arbeitgeber bestimmt die Ziele ohne Verhandlung mit Arbeitnehmer*innen, dem Arbeitgeber wird so ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht i. S. d. § 315 Abs. 1 BGB eingeräumt.
Im Gegensatz dazu werden bei einer Zielvereinbarung die Ziele gemeinsam zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer*innen ausgehandelt und festgelegt. Dies erlaubt es dem*der Arbeitnehmer*in, während der Verhandlung aktiv eigene Zielvorgaben einzubringen und so eine gewisse Verhandlungsparität zwischen den Parteien herzustellen.
Was aufgrund neuster Rechtsprechung speziell bei Zielvorgaben zu beachten ist, kann in dem ebenfalls in dieser Ausgabe erschienen Aufsatz unser Kollegin Laura F. Fischler nachgelesen werden.
Neue Spielregeln durch das BAG
Zielvereinbarungen sehen in der Praxis oft vor, dass im Falle des Scheiterns von Verhandlungen über eine Zielvereinbarung der Arbeitgeber dem*der Arbeitnehmer*in nach billigem Ermessen gem. § 315 BGB einseitig eine Zielvorgabe festlegen kann. Diese „Auffanglösung“ wurde in einem vom BAG am 3. Juli 2024 entschiedenen Fall erheblich eingeschränkt. Die Parteien stritten über die Vergütung für entgangene leistungsbezogene variable Vergütungsbestandteile, die durch eine rechtswidrig unterlassene Verhandlungspflicht begründet wurden.
In der zugrunde liegenden Entscheidung war eine formularmäßig vereinbarte arbeitsvertragliche Klausel vorgesehen, nach welcher der*die Arbeitnehmer*in eine erfolgsabhängige variable Vergütung (Tantieme) erzielen kann. Die Zielerreichung, welche für die Tantieme erforderlich war, sollte jährlich zwischen dem*der Arbeitnehmer*in und dem Arbeitgeber vereinbart werden. Für den Fall einer fehlenden Zielvereinbarung sollten die Ziele durch den Arbeitgeber nach seinem Ermessen fixiert werden können.
Strenge Grenzen des einseitigen Leistungsbestimmungsrechts
Das BAG hielt die Klausel für unwirksam und entschied, dass die Bestimmung über die Zielvorgabe ersatzlos entfällt. Zwar besteht bei vertraglicher Vereinbarung grundsätzlich die Möglichkeit des Arbeitgebers, einseitig die Ziele zur Bestimmung einer variablen Vergütung gemäß § 315 BGB nach billigem Ermessen festzulegen. Das einseitige Leistungsbestimmungsrecht des Arbeitgebers unterliegt indes strengen Grenzen. Eine nachträgliche einseitige Zielvorgabe könne die notwendige Motivations- und Anreizfunktion nicht mehr erfüllen. Das BAG nahm an, dass Klauseln, welche primär eine Zielvereinbarung und nur nachrangig eine Zielvorgabe vereinbaren, den Adressaten gemäß § 307 Abs. 1 BGB unangemessen benachteiligen. Der*Die Arbeitnehmer*in habe in dem Fall nicht ernsthaft verhandeln können, weil stets mit dem einseitigen und grundlosen Abbruch der Verhandlungen durch den Arbeitgeber zu rechnen war. Überdies benachteiligt die Klausel Arbeitnehmer*innen in unzulässiger Weise, da sie generell geeignet ist, Arbeitnehmer*innen von der vertraglich vereinbarten vorrangigen Verhandlungsfreiheit abzuhalten.
Schadensersatz bei Verstoß gegen die Verhandlungspflicht
Das BAG entschied, dass der Arbeitgeber seine Verhandlungspflicht bei Zielvereinbarungen nur erfülle, wenn er Arbeitnehmer*innen ermögliche, auf die Festlegung der Ziele ernsthaft Einfluss zu nehmen. Zudem müsse der Arbeitgeber bereit sein, die Ziele auszuhandeln. Diese Bereitschaft wird nur angenommen, wenn sich der Arbeitgeber deutlich und ernsthaft zu Änderungen eines gegebenenfalls von ihm unterbreiteten Vorschlags bereit erklärt. Bei einer schuldhaften Verletzung der Verhandlungspflicht hat der Arbeitgeber zum Schadensersatz statt der Leistung verpflichtet. Für die Führung von Verhandlungen, einschließlich der Möglichkeit der Einflussnahme von Arbeitnehmer*innen, trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast entsprechend § 280 Abs. 1 S. 2 BGB.
Erfolgt keine oder keine rechtzeitige Zielvereinbarung, sei nach Ansicht des BAG grundsätzlich davon auszugehen, dass Arbeitnehmer*innen die vereinbarten Ziele erreicht hätten und ihnen demzufolge ein Schadenersatz in entsprechender Höhe der ausgebliebenen variablen Vergütung zusteht.
Fazit
Aufgrund dieser jüngsten Entscheidung des BAG gilt es nun umso mehr, dass variable Vergütungsregelungen zunächst sorgfältig konzipiert und darüber hinaus auch in korrekter bzw. nachweisbarer Weise im praktischen Umgang umgesetzt werden müssen. Für Arbeitgeber empfiehlt es sich daher dringend, dass Verhandlungen über die zu erreichenden Ziele jedes Jahr rechtzeitig angeboten werden und der Ablauf der Verhandlung ebenfalls lückenlos dokumentiert wird. Ansonsten können hohe Schadenersatzzahlungen gegenüber den Arbeitnehmer*innen entstehen, für die der Arbeitgeber im schlimmsten Fall keine oder eine unzureichende Arbeitsleistung der Arbeitnehmer*innen erhalten hat.
Autor*innen: Kevin Dolinski und Riccarda Seubert
Dies ist ein Beitrag aus unserem Newsletter „Menschen im Unternehmen“ 1-2025. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.