Das Baugewerbe und die SOKA-BAU – auf dem Prüfstand

Das Baugewerbe ist mit einem Umsatz von rund 757,2 Mrd. € (2024, ohne MwSt.) eine tragende Säule der deutschen Wirtschaft. Die SOKA-BAU ist als Sozialkasse für über 80.000 Betriebe zuständig. Die wirtschaftlichen Herausforderungen und die strukturellen Besonderheiten der Branche werfen u. a. die Frage auf, ob die Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen und Ausgleichsleistungen an die SOKA-BAU unter den aktuellen Rahmenbedingungen noch angemessen und zeitgemäß ist.

Rechtliche Einordnung und Beitragspflicht

Im Baugewerbe sind gewerbliche Arbeitnehmer*innen häufig von kurzfristigen Beschäftigungsverhältnissen und Arbeitgeberwechseln betroffen, was häufig zur Angst von Nachteilen bei der Realisierung von Urlaubs- und Rentenansprüchen geführt hat. Zum Schutz vor diesen möglichen Nachteilen wurden seit 1949 gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien geschaffen, darunter die Urlaubskasse, die Lohnausgleichskasse sowie die Zusatzversorgungskasse. Seit 2001 treten diese unter der einheitlichen Bezeichnung SOKA-BAU auf.

Die SOKA-BAU beansprucht für sich die Durchführung des Sozialkassenverfahrens im Baugewerbe auf Grundlage des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV). Danach unterliegt jeder Betrieb, der bauliche Leistungen im Sinne des VTV erbringt, der Pflicht zur Teilnahme am Sozialkassenverfahren – unabhängig davon, ob eine tarifliche Bindung über die Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband besteht. Der Geltungsbereich des VTV ist tarifvertraglich festgelegt und bildet die rechtliche Grundlage für die Beitragspflicht gegenüber der SOKA-BAU, die seit dem 01.07.2025 20,2 % (West) des Bruttolohns ausmacht.

SOKA-BAU: Zwangsmitgliedschaft statt Privatautonomie?

Die Allgemeinverbindlicherklärung des Tarifvertrags durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales führt zu einer faktischen Zwangsmitgliedschaft. Arbeitgeber sind verpflichtet, Beiträge zu entrichten, und erhalten im Gegenzug Erstattungen für Urlaubsvergütungen.

Dieses System soll den besonderen strukturellen Risiken der Branche – etwa saisonalen oder kurzen Arbeitsverhältnissen und der hohen Insolvenzanfälligkeit – Rechnung tragen.

Die rechtlichen Konsequenzen der Allgemeinverbindlicherklärung des Tarifvertrages wurden mehrfach Gegenstand höchstrichterlicher und sogar verfassungsrechtlicher Rechtsprechung.

So zeigt die einschlägige Rechtsprechung zur SOKA‑BAU ein uneinheitliches Bild: Gerichte bejahen die Beitragspflicht von Unternehmen immer dann, wenn deren tatsächliche Tätigkeit bauaffine Leistungen umfasst, und zwar unabhängig von einer tariflichen Verbandsbindung. Maßgeblich ist nicht die formale Branchenzuordnung, sondern der betriebliche Schwerpunkt der erbrachten Leistungen. Der im VTV verwendete Begriff des „Gewerbes“ bleibt dabei auslegungsbedürftig; gleichwohl soll in der Praxis regelmäßig eine substanzielle Tatsachengrundlage (z. B. Tätigkeitsberichte, Prüfvermerke) genügen, um eine Einordnung unter den Geltungsbereich zu stützen. Die Darlegungs‑ und Beweislast für das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen liegt zwar grundsätzlich bei der SOKA‑BAU, doch führt eine hinreichend behauptete bauwirtschaftliche Prägung des Betriebs regelmäßig zur Bestätigung der Beitragspflicht.

Die wirtschaftlichen Konsequenzen sind erheblich: Nachforderungen können sich – je nach Betriebsgröße und Dauer – auf beträchtliche Summen belaufen und existenzbedrohende Effekte haben. Zudem werten die Verwaltungsgerichte rückständige Sozialkassenbeiträge als gewichtiges Indiz für eine gewerberechtliche Unzuverlässigkeit, was im Einzelfall bis zur Gewerbeuntersagung führen kann (§ 35 GewO). Dass Nachforderungen rückwirkend innerhalb der kurzen Verjährungsfrist geltend gemacht werden, verstärkt das finanzielle Risiko zusätzlich. Insgesamt ergibt sich aus der Rechtsprechung ein klarer Befund: Wer bauliche Leistungen im weitesten Sinn erbringt, muss mit einer strikten Durchsetzung der Beitragspflicht rechnen; Streitigkeiten über die Abgrenzung verlaufen regelmäßig zulasten solcher Betriebe, deren Tätigkeitsprofil bauwirtschaftliche Elemente in nennenswertem Umfang aufweist.

Ausblick und Folgen für die Praxis

Vor dem Hintergrund einer an der Tätigkeit ausgerichteten Rechtsprechung ist kurzfristig nicht mit einer grundlegenden Abkehr von der strikten Beitragserhebung zu rechnen. Gleichwohl könnten künftige verfassungs- oder gesetzgeberische Klärungen – insbesondere zur Konturierung des auslegungsbedürftigen VTV‑Begriffs – nachjustierende Effekte haben. Für die Praxis bedeutet dies: Betriebe sollten frühzeitig eine belastbare Einordnung ihres Leistungsportfolios vornehmen, Tätigkeiten und Stundenkorridore sorgfältig dokumentieren, Entgeltbestandteile trennscharf zuordnen, interne Compliance‑Kontrollen (Payroll, Zeiterfassung, Subunternehmer) etablieren und finanzielle Risiken durch Rückstellungs- und Szenarioanalysen steuern; bei Prüfungen und Nachforderungen sind Fristen-, Verjährungs- und Einspruchsstrategien konsequent zu nutzen.

Forvis Mazars unterstützt Mandanten dabei umfassend: Wir helfen bei der rechtlichen Einordnung des Betriebs und erstellen fundierte Gutachten zur Beitragspflicht. Unsere Expert*innen beraten bei der Optimierung von Dokumentations- und Kontrollprozessen, begleiten Betriebsprüfungen und Verhandlungen mit der SOKA-BAU und vertreten Mandanten auch in rechtlichen Auseinandersetzungen. Durch diese ganzheitliche Beratung können Unternehmen ihre Risiken frühzeitig erkennen, Streitigkeiten vermeiden und ihre Liquidität schützen.

 

Autor*innen: Andreas Thomas, Riccarda Seubert

Dies ist ein Beitrag aus unserem Newsletter „Menschen im Unternehmen“ 2-2025. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.

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