Entgelttransparenz in Europa – ein Überblick

Die EU-Richtlinie zur Entgelttransparenz stellt einen bedeutenden Schritt zur Verwirklichung des Grundsatzes „gleiches Entgelt für gleiche Arbeit“ dar. Mit der Umsetzungsfrist zum 7. Juni 2026 stehen Unternehmen in ganz Europa vor der Herausforderung, ihre Vergütungsstrukturen transparenter zu gestalten und systematische Entgeltunterschiede zu beseitigen. Dieser Artikel bietet einen Überblick über den aktuellen Stand der Umsetzung in den EU-Mitgliedstaaten und zeigt auf, welche Entwicklungen für Unternehmen relevant sind.

Die Kernelemente der Richtlinie

Die EU-Richtlinie zur Entgelttransparenz verfolgt einen zweigleisigen Ansatz: Zum einen müssen Arbeitgeber mit mehr als 100 Beschäftigten regelmäßig detaillierte Informationen über geschlechtsspezifische Entgeltunterschiede in ihrer Organisation melden. Wird dabei eine Lücke von 5 % oder mehr innerhalb einer Stellenkategorie festgestellt, die nicht durch objektive und nicht diskriminierende Faktoren erklärt werden kann, hat der Arbeitgeber sechs Monate Zeit, diese zu beseitigen. Gelingt dies nicht, muss ein umfassendes Entgeltaudit mit Beteiligung der Arbeitnehmervertretung durchgeführt werden.

Zum anderen erhalten alle Mitarbeiter*innen und Stellenbewerber*innen individuelle Transparenzrechte, die weitgehend unabhängig von der Unternehmensgröße gelten. Dazu gehören die Pflicht zur Angabe von Gehaltsspannen im Bewerbungsverfahren, das Verbot von Fragen zur Gehaltshistorie und das Recht auf Offenlegung von Informationen zu Entgeltniveaus und -kriterien.

Aktueller Umsetzungsstand in Europa – Überblick

Die folgende Tabelle zeigt den aktuellen Stand der Umsetzung der EU-Richtlinie zur Entgelttransparenz in den verschiedenen Mitgliedstaaten (Stand: September 2025).

LandStatusGesetzentwurfFinales GesetzInkrafttreten – planmäßig
BelgienVollständige Umsetzung (regional begrenzt)JaJa2026
MaltaTeilweise Umsetzung (nur Transparenzpflichten)JaJa27. August 2025
PolenTeilweise Umsetzung (nur Gehaltsspannen)JaJa24. Dezember 2025
NiederlandeUmfassender Entwurf vorhandenJaNeinVoraussichtlich 1. Januar 2027
FinnlandEntwurf veröffentlichtJaNeinBis 7. Juni 2026
SchwedenDetaillierter Entwurf vorhandenJaNeinBis 7. Juni 2026
IrlandTeilentwurf (nur Transparenz)Ja (begrenzt)NeinBis 7. Juni 2026
LitauenVollständiger Entwurf vorgelegtJaNeinBis 7. Juni 2026
DeutschlandKommission arbeitet an VorschlägenIn VorbereitungNeinBis 7. Juni 2026
FrankreichKonsultationen mit SozialpartnernIn VorbereitungNeinBis 7. Juni 2026
Weitere EU-StaatenNoch keine offiziellen AnkündigungenNeinNeinBis 7. Juni 2026

Vorreiter mit unterschiedlichen Ansätzen

Belgien war das erste Land, das die Richtlinie umgesetzt hat, allerdings zunächst nur regional begrenzt für etwa 7.500 hauptsächlich öffentliche Arbeitgeber unter der Jurisdiktion der Fédération Wallonie-Bruxelles. Die belgische Umsetzung geht über die Mindestanforderungen hinaus, indem Gehaltsspannen bereits bei Veröffentlichung von Stellenausschreibungen angegeben werden müssen und zusätzliche Berichtspflichten über die Auswirkungen familienbedingter Beurlaubungen auf die Vergütung eingeführt wurden.

Malta hat als zweites Land eine Teilumsetzung verabschiedet, die bereits am 27. August 2025 in Kraft trat – zehn Monate vor der EU-Frist. Allerdings beschränkt sich diese zunächst nur auf die Transparenz vor der Einstellung. Malta erlaubt Arbeitgebern, die Offenlegung von Gehaltsspannen bis kurz vor Arbeitsbeginn zu verzögern, und gewährt nur begrenzte Informationsrechte für Arbeitnehmer*innen.

Polen verfolgt einen schrittweisen Ansatz und hat zunächst nur die Transparenzpflichten für Gehaltsspannen und geschlechtsneutrale Stellentitel umgesetzt, die am 24. Dezember 2025 in Kraft treten. Polen verlangt nicht, dass Gehaltsspannen bereits in Stellenausschreibungen veröffentlicht werden müssen.

Länder mit fortgeschrittenen Entwürfen

Die Niederlande haben den umfassendsten Entwurf vorgelegt, der der Richtlinie am nächsten kommt. Allerdings wird die Umsetzung voraussichtlich erst zum 1. Januar 2027 erfolgen, wobei die Berichtspflichten für Unternehmen mit 150+ Mitarbeiter*innen erst im Juni 2028 greifen werden. Kontrovers diskutiert wird der niederländische Vorschlag, Leiharbeitnehmer*innen in die Entgeltdaten der Entleihunternehmen statt der Personaldienstleister einzubeziehen.

Finnland plant einen mehrstufigen Ansatz: Die Regierung wird Gesamt-Entgeltlücken für Arbeitgeber mit 100+ Beschäftigten anhand bestehender Entgeltdaten berechnen, während die Arbeitgeber weiterhin für die Analyse nach Arbeitnehmerkategorien verantwortlich bleiben. Gleichzeitig bleiben bestehende Verpflichtungen für Unternehmen mit 30+ Mitarbeiter*innen zur Durchführung von Entgeltaudits alle zwei Jahre bestehen. Der finnische Ansatz konzentriert sich auf steuerpflichtige Einkünfte.

Schweden war das erste Land, das einen Gesetzentwurf veröffentlichte – mit 388 Seiten der detaillierteste Vorschlag bisher. Schweden behält sein bestehendes Berichtssystem bei und ergänzt es um die von der EU geforderte Gesamt-Entgeltlücken-Berichterstattung für Arbeitgeber mit 100+ Beschäftigten sowie neue Berichtspflichten über Entgelte nach Rückkehr aus dem Urlaub.

Deutschland: Kommission arbeitet an Umsetzungsvorschlägen

Deutschland hat am 17. Juli 2025 eine elfköpfige Kommission namens „Bürokratieabbau zur Umsetzung der Entgelttransparenz-Richtlinie“ gebildet, die sich aus Sozialpartnern, der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) sowie Wirtschaftsverbänden zusammensetzt. Die Kommission soll bis Ende Oktober 2025 ihre Vorschläge dem für Gleichstellung zuständigen Bundesministerium (Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend – BMBFSFJ) vorlegen. Anschließend wird das Ministerium den Gesetzgebungsprozess einleiten.

Herausforderungen und Trends bei der Umsetzung

Die bisherigen Umsetzungsansätze zeigen mehrere charakteristische Muster.

Schrittweise Umsetzung: Viele Länder implementieren die Richtlinie in Etappen, wobei oft zunächst die Transparenzpflichten vor den Berichtspflichten eingeführt werden. Dies ermöglicht es Unternehmen, sich schrittweise an die neuen Anforderungen zu gewöhnen.

Über Mindestanforderungen hinausgehende Regelungen: Einige Länder wie Belgien gehen bewusst über die Mindestanforderungen der Richtlinie hinaus, während andere wie Malta eher restriktive Interpretationen wählen. Dies führt zu einem Flickenteppich unterschiedlicher Standards in Europa.

Integration bestehender Systeme: Länder mit bereits etablierten Entgeltgleichheitssystemen wie Finnland und Schweden versuchen, die neuen EU-Anforderungen in ihre bestehenden Rahmenwerke zu integrieren, was zu komplexen mehrstufigen Ansätzen führt.

Zeitdruck und Verzögerungen: Die Niederlande haben bereits angekündigt, die Juni-2026-Frist voraussichtlich nicht einhalten zu können, was darauf hindeutet, dass auch andere Länder vor ähnlichen Herausforderungen stehen könnten.

Auswirkungen für deutsche Unternehmen

Für deutsche Unternehmen ergeben sich bereits jetzt wichtige Handlungsfelder.

Vorbereitung auf Berichtspflichten: Unternehmen mit mehr als 100 Beschäftigten sollten ihre Datenerfassungssysteme überprüfen und sicherstellen, dass sie geschlechtsspezifische Entgeltunterschiede systematisch erfassen und analysieren können. Die Erfahrungen anderer Länder zeigen, dass die Definition von „Entgelt“ sehr breit gefasst werden kann.

Transparenz im Bewerbungsverfahren: Auch kleinere Unternehmen müssen sich auf die neuen Transparenzpflichten vorbereiten. Dazu gehört die Entwicklung von Gehaltsspannen für verschiedene Positionen und die Anpassung von Bewerbungsverfahren.

Schulung von HR-Teams: Die individuellen Informationsrechte der Arbeitnehmer*innen erfordern gut geschulte HR-Teams, die auf entsprechende Anfragen professionell reagieren können.

Präventive Entgeltanalysen: Unternehmen sollten bereits jetzt regelmäßige Analysen ihrer Entgeltstrukturen durchführen, um potenzielle Diskriminierungen frühzeitig zu identifizieren und zu beseitigen.

Fazit und Ausblick

Die EU-Richtlinie zur Entgelttransparenz wird die Personalarbeit in Europa nachhaltig verändern. Während die Umsetzungsansätze der Mitgliedstaaten variieren, ist der Trend zu mehr Transparenz und systematischer Überwachung von Entgeltunterschieden unumkehrbar.

Deutsche Unternehmen sollten die Zeit bis zur nationalen Umsetzung nutzen, um ihre Systeme und Prozesse entsprechend anzupassen. Die Erfahrungen der Vorreiterländer zeigen, dass eine proaktive Herangehensweise nicht nur rechtliche Compliance sicherstellt, sondern auch zu faireren und transparenteren Vergütungsstrukturen führt, die letztendlich die Arbeitgeberattraktivität steigern können.

Die Kommissionsarbeit in Deutschland wird zeigen, welchen spezifischen Weg das Land einschlagen wird. Unternehmen sind gut beraten, die Entwicklungen aufmerksam zu verfolgen und sich frühzeitig auf die kommenden Anforderungen vorzubereiten.

 

Autor: Dr. Andreas Eckhardt

Dies ist ein Beitrag aus unserem Newsletter „Menschen im Unternehmen“ 2-2025. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.

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