Landgericht Berlin – Interesse am Fortbestand des Mietverhältnisses überwiegt Interesse an der Verwertung des Grundstücks

Dem Vermieter steht ein ordentlicher Kündigungsgrund zu, sofern er durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert wäre und dadurch erhebliche Nachteile erleiden würde (§ 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB). Das Landgericht Berlin II (Hinweisbeschluss vom 11. März 2024, Az. 67 S 289/23) hatte sich jüngst noch einmal mit der Frage zu befassen, wann ein „erheblicher“ Nachteil im Sinne der Norm vorliegt.

Sachverhalt

Der Kläger erwarb ein bebautes Grundstück in Berlin, auf dem u. a. der Beklagte seit vielen Jahren wohnte. Durch Abriss der Bestandsbebauung, Neuerrichtung und Abverkauf hätte der Kläger seinen Erwartungen zufolge einen Gewinn von knapp 14 Mio. € realisieren können. Bei Erhalt der Bausubstanz und Fortbestand des streitgegenständlichen Mietverhältnisses wäre er hingegen gehalten, das Gesamtobjekt einerseits mit einem Aufwand von knapp 7 Mio. € zu sanieren und andererseits fortan mit einer jährlichen Unterdeckung zu bewirtschaften.

Vor diesem Hintergrund kündigte der Kläger das Mietverhältnis mit dem Beklagten und erhob eine Klage auf Räumung und Herausgabe. Das Amtsgericht Mitte wies die jedoch Klage ab: Die Kündigung sei mangels ordentlichen Kündigungsgrunds unwirksam. Nachdem der Kläger in Berufung gegangen war, wies ihn das Landgericht darauf hin, dass die Klage offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg habe. Daraufhin nahm der Kläger die Berufung zurück.

Inhalt der Entscheidung

Das Landgericht arbeitet heraus, dass bereits innerhalb des Tatbestands des § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB eine Abwägung der Interessen von Vermieter und Mieter zu erfolgen habe – und nicht erst bei der Frage, ob der Mieter gemäß § 574 BGB einen Härtefall gegen die Kündigung einwenden kann. Bei der Beurteilung, ob dem Vermieter „erhebliche Nachteile“ bei Fortsetzung des Mietverhältnisses drohen, seien nicht nur abstrakt die den Vermieter treffenden Nachteile, sondern bereits die dem gegenüberstehenden Interessen des Mieters am Fortbestand des Mietverhältnisses bzw. die ihn treffenden Nachteile bei Nichtfortführung in die Waagschale zu legen. Dessen Interessen seien als rechtmäßiger Besitzer der Wohnung ebenso nach Art. 14 des Grundgesetzes geschützt wie die Eigentumsinteressen des Vermieters.

Im vorliegenden Fall würden die dem Vermieter im Falle einer Hinderung an der beabsichtigten wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks entstehenden Nachteile nach Sicht des Landgerichts keinen Umfang annehmen, der diejenigen Nachteile weit übersteige, die dem Mieter im Falle des Verlustes der Wohnung erwachsen würden. Zunächst gewähre das Eigentum dem Vermieter keinen Anspruch auf Gewinnoptimierung oder auf Einräumung gerade derjenigen Nutzungsmöglichkeiten, die den größtmöglichen wirtschaftlichen Vorteil versprechen. Zulasten des Vermieters sei zudem zu berücksichtigen, dass er das Objekt bereits in Kenntnis der bestehenden Vermietung an den Beklagten und damit auch in Kenntnis der eingeschränkten Möglichkeiten zur Änderung oder gar Beendigung der bestehenden Mietverhältnisse erworben habe. Ferner treffe den Vermieter hinsichtlich seines alternativen Sanierungskonzepts keine Bauverpflichtung.

Demgegenüber seien die wirtschaftlichen und persönlichen Nachteile des Mieters im Falle der verwertungsbedingten Beendigung des Mietverhältnisses zu berücksichtigen. So würde dieser nicht nur seinen langjährigen Lebensmittelpunkt verlieren. Er wäre gezwungen, sich mit ungewissem Ausgang auf dem durch erhebliche Preisanstiege und eine Verknappung freien Ersatzwohnraums gekennzeichneten Berliner Wohnungsmarkt zu behaupten. Schließlich müsse er die weiteren mit einem Wohnungswechsel verbundenen finanziellen und sonstigen Belastungen tragen.

Die Kündigung war daher nach Sicht des Landgerichts Berlin bereits mangels ordentlichen Kündigungsgrunds unwirksam. Das Gericht weist abschließend noch darauf hin, dass es erheblich in die Entscheidung eingeflossen sei, dass der Vermieter dem Mieter keinen Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen angeboten oder vermittelt habe.

Fazit und Ausblick

Beachtlich an der vorliegenden Entscheidung ist der Umstand, dass das Landgericht die Interessenlage des Mieters bereits im Rahmen des Tatbestands des § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB prüft – also bereits bei der Frage des Vorliegens eines Kündigungsgrunds. Dies wird in der juristischen Literatur teilweise kritisch gesehen. Denn eigentlich ist es an dem Mieter, gemäß § 574 BGB einen Härtefall gegen die Kündigung einzuwenden, sodass das Gericht eigentlich erst nach Feststellen des (vermieterseitigen) Kündigungsgrunds und des Vorliegens aller Kündigungsvoraussetzungen in den Blick nehmen dürfte, ob der Mieter im Einzelfall berechtigterweise etwas gegen diese – grundsätzlich berechtigte – Kündigung einzuwenden hat. Es bleibt unklar, ob die Entscheidung des Landgerichts in der Konsequenz bedeutet, dass es gar nicht mehr die Voraussetzungen für die Einwendung eines Härtefalls prüfen würde und ein Mieter diesen im Falle einer Verwertungskündigung nicht mehr (fristgerecht) geltend machen muss.

Ferner ist aus der Gerichtsentscheidung für die Praxis unbedingt mitzunehmen, dass ein Vermieter – bestenfalls bereits bei Ausspruch der Kündigung – dem Mieter Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen anbieten sollte. Dann kann die Interessenabwägung des Gerichts bereits deutlich anders ausfallen, wie das Landgericht Berlin signalisiert.

Dies ist ein Beitrag aus unserem Immobilienrecht Newsletter 1-2025. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.

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