BAG zum aktiven Wahlrecht bei betriebsübergreifenden Matrixstrukturen – rechtzeitig vor Einleitung der nächsten BR-Wahlen 2026!

Bei manchen öffentlichen Unternehmen, z. B. bei Stadtwerkekonzernen, sind Führungskräfte mit Weisungskompetenzen gegenüber Mitarbeitenden anderer unternehmens- oder konzerninterner Betriebe ausgestattet. Insbesondere im Zusammenhang mit den Betriebsratswahlen kann sich die Frage stellen, welchen Betrieben diese Führungskräfte zuzuordnen und in welchen Betrieben sie aktiv wahlberechtigt sind.

Nach der jüngsten Rechtsprechung des BAG (Beschluss vom 22. Mai 2025, 7 ABR 28/24) können Führungskräfte mehreren Betrieben eines Unternehmens angehören, mit der Folge, dass sie in jedem Betrieb aktiv wahlberechtigt sind, soweit diese nicht als Leitende Angestellte i. S. d. § 5 Abs. 3 BetrVG anzusehen sind.

Sachverhalt

In einem Unternehmen der IT-Branche mit fünf verschiedenen Betrieben werden die Arbeitnehmer*innen fachlich von sog. Matrixführungskräften, die keine disziplinarischen Befugnisse innehaben, geführt. Bei der Wahl des Betriebsrats eines dieser Betriebe hatte der Wahlvorstand auch Matrixführungskräfte, die einem anderen Betrieb angehörten, als wahlberechtigt angesehen.

Die Arbeitgeberin hatte die Wahl angefochten, weil sie der Auffassung war, die Führungskräfte seien mangels Eingliederung in den betreffenden Betrieb nicht wahlberechtigt.

Strittige Rechtsfrage

Ein Teil der Landesarbeitsgerichte und der Literatur vertritt die Auffassung, dass auch in den Fällen, in denen Führungskräfte mit den im Betrieb tätigen Arbeitnehmer*innen zusammenarbeiten und fachliche Weisungsrechte wahrnehmen, diese zwar ggf. in diesen Betrieb i. S. d. § 99 BetrVG eingegliedert seien, daraus folge aber keine Wahlberechtigung gem. § 7 BetrVG, da dieser nur „Arbeitnehmer des Betriebs“ erfasse. Der bei der Definition der Betriebszugehörigkeit und im Rahmen des § 99 BetrVG verwendete Begriff der Eingliederung sei nicht deckungsgleich (vgl. Richardi BetrVG/Thüsing § 7 Rn. 34; a. A. LAG Hessen, Beschluss vom 22. Januar 2024, 16 TaBV 98/23, das bzgl. der Eingliederung gem. § 7 BetrVG darauf abstellt, dass die Führungskräfte den arbeitstechnischen Zweck des betreffenden Betriebs verfolgen).

Gerichtliche Entscheidungen im konkreten Fall

Sowohl das ArbG Stuttgart als auch das LAG Baden-Württemberg haben die Wirksamkeit der Wahlanfechtung bestätigt und dem Antrag der Arbeitgeberin stattgegeben.

Die Erfurter Richterinnen und Richter hingegen haben die Möglichkeit eines aktiven Wahlrechts der Führungskräfte bejaht, die Entscheidung des LAG aufgehoben und den Fall zur weiteren Sachverhaltsaufklärung und neuen Entscheidung zurückverwiesen.

Entscheidungsgründe des BAG

Bislang liegt nur die Pressemitteilung des BAG vor, laut der der Senat seine Entscheidung mit Verweis auf § 7 Satz 1 BetrVG begründet. Danach knüpft die Wahlberechtigung an die Zugehörigkeit des Arbeitnehmers zum Betrieb an, die durch die Eingliederung in die Betriebsorganisation begründet werde. Der Umstand, dass ein Arbeitnehmer bereits in einem Betrieb eingegliedert und damit in diesem wahlberechtigt sei, stehe seiner Wahlberechtigung in einem weiteren Betrieb nicht entgegen. Es sei möglich, in mehreren Betrieben wahlberechtigt zu sein (Pressemitteilung BAG vom 22. Mai 2025, 22/25). Eine abschließende Entscheidung sei nicht möglich, sondern es bedürfe der weiteren Sachaufklärung.

Das BAG scheint bei der Feststellung der Wahlberechtigung gem. § 7 Satz 1 BetrVG und bei der Frage der Einstellung gem. § 99 BetrVG ein und denselben Maßstab für die Eingliederung einer Führungskraft in den Betrieb der von ihr fachlich angewiesenen Arbeitnehmer*innen anzulegen. Nach der bisherigen BAG-Rechtsprechung zu § 99 BetrVG ist von einer Eingliederung auszugehen, wenn die Führungskraft zur Durchführung der ihr obliegenden Aufgaben mit den im Betrieb tätigen Arbeitnehmer*innen regelmäßig zusammenarbeiten muss und damit ihre fachlichen Weisungsbefugnisse auch tatsächlich wahrnimmt (BAG, Beschluss vom 14. Juni 2022, 1 ABR 13/21).

Fazit

Führungskräfte müssen keine disziplinarische Verantwortung wahrnehmen, fachliche Weisungsbefugnisse können für die Eingliederung in einen weiteren Betrieb und somit für die Begründung des aktiven Wahlrechts in mehreren Betrieben ausreichen. Diese Grundsätze lassen sich auf unternehmensübergreifende Matrixstrukturen übertragen.

Damit werden ggf. die Interessen von Arbeitnehmer*innen überproportional nicht nur in Betriebsräten, sondern auch in Gesamt- und Konzernbetriebsräten vertreten.

Zudem hat die Rechtsprechung Auswirkungen auf die Klärung der Überschreitung von Schwellenwerten, die z. B. für die Größe des zu wählenden Betriebsrats relevant sind.

Aus der Entscheidung ergeben sich mitunter weitere offene Folgefragen, wie welcher Betriebsrat bei welchen Maßnahmen einzubinden ist, welche Betriebsvereinbarungen für Führungskräfte gelten und ob die betreffenden Arbeitnehmer*innen kurioserweise – quasi als Kehrseite des aktiven Wahlrechts – in mehreren Betrieben gem. § 8 BetrVG wählbar sind. Soweit Führungskräfte bei Rechtspersonen des öffentlichen Rechts, z. B. einer Kommune, angestellt und mit Weisungskompetenzen gegenüber Arbeitnehmer*innen von Beteiligungsgesellschaften ausgestattet sind, können sich grundsätzlich Wahlberechtigungen sowohl nach dem jeweiligen Personalvertretungsrecht als auch nach dem Betriebsverfassungsrecht ergeben.

Unternehmen mit Matrixstrukturen sollten, sobald die Entscheidungsgründe vorliegen, die sich aus dieser Einzelfallentscheidung für sie konkret ergebenden Rechtsfolgen prüfen. Im Hinblick auf die im Frühjahr 2026 anstehenden regulären Betriebsratswahlen sollten sie Vorbereitungen treffen, um den arbeitgeberseitigen Informationspflichten gegenüber dem Wahlvorstand hinreichend nachzukommen und das Risiko der Wahlanfechtung zu begrenzen. Gegebenenfalls sind Aufgabenprofile der Führungskräfte oder Strukturen anzupassen.

Autorin: Marion Plesch

Dies ist ein Beitrag aus unserem Public Sector Newsletter 2-2025. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.

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