Chancen strukturierter, diversifizierter Energiebeschaffung und Risiken in der Rechnungslegung

Mit der Erstellung strukturierter und diversifizierter Energiebeschaffungsverträge geht auch immer die Frage einher, ob ein solcher Vertrag in der Rechnungslegung in den Anwendungsbereich des IFRS 9 Finanzinstrumente fallen und damit schwer kalkulierbare Ertrags- und Aufwandsschwankungen mit sich bringen könnte.

Strukturierte und diversifizierte Energiebeschaffungsverträge: Erfolgsfaktor für Unternehmen

Die Optimierung der Energiebeschaffung und ein proaktives Risikomanagement sind entscheidende Erfolgsfaktoren für Energieversorger und energieintensive Unternehmen. Der wachsende Anteil erneuerbarer Energien, die Notwendigkeit einer Flexibilisierung des Energiemarkts, die Verknappung regelbarer Energiekapazitäten, die Gaskrise und die Spitzennachfrage haben die Preise steigen lassen – aber auch deren Schwankungen – und vermehrt zu negativen Strompreisen geführt. Die Energiepreisrisiken über eine Beschaffungsmodellierung abzusichern und die Liquiditätsanforderungen für Margin Calls zu erfüllen, stellen Herausforderungen dar.

Komplex strukturierte Energiebeschaffungsverträge umfassen verschiedenste Absicherungsmaßnahmen bei hoher Flexibilität und sind so längst auch im Fokus von Finanzinstrumente-Spezialisten.

Die Einstufung eines Energiebeschaffungsvertrags oder eines Preisbildungsmechanismus als Finanzinstrument erfolgt nicht an sich oder aufgrund der komplexen Struktur. Verträge können aber Finanzderivate beinhalten oder gar als Ganzes in den Anwendungsbereich des IFRS 9 Finanzinstrumente fallen, beispielsweise wenn es zu einem Ausgleich in Geld kommt. Bonus-Malus-Regelungen, Mindestabnahmeverpflichtungen, Bandlieferungen, Toleranzgrenzen für Lieferzeiträume, Rückverkaufsoptionen, Vertragsbeendigungsklauseln, aber auch Vereinbarungen von Vertragsstrafen – alle können zu einem Ausgleich in Geld führen.

Bei der Gestaltung der Vertragsbeziehungen wird die Vertragsfreiheit genutzt (z. B. Implementierung einer Vereinbarung von physischen oder finanziellen Sleeve Transactions). Zu beobachten sind aber auch Trends zur Standardisierung (z. B. Einsatz von ISDA-, DRV- oder EFET-Verträgen).

Energielieferverträge können mit der Teilnahme an Demand-Response- und Demand-Side-Response (DSR)-Programmen verbunden sein, um Kosten durch optimierten Energieverbrauch zu sparen, stärker auf die Nutzung erneuerbarer Energien zurückzugreifen und auch die Netzstabilität zu stärken. Diese Programme zur Laststeuerung können aber auch eine neue Einnahmequelle sein.

Des Weiteren gibt es auch Verträge mit physischen Stromlieferungsverpflichtungen, die mit Congestion Revenue Rights (CRRs) bzw. Financial Transmission Rights (FTRs) verbunden sind, um die Stromkosten zu stabilisieren, aber auch Gewinne zu erzielen. CRRs und FTRs selbst sind Finanzinstrumente.

An Bedeutung und Vielgestaltigkeit gewinnen Besicherungsklauseln in den Verträgen. Die gestellten Sicherheiten können Verträge im Anwendungsbereich des IFRS 9 Finanzinstrumente sein.

Klimaschutz und Energieversorgungssicherheit: Herausforderungen für die Rechnungslegung

Komplexe Verträge – insbesondere solche zu naturabhängigen Energiequellen – erschweren schon im ersten Schritt die Beurteilung des Verwendungszwecks eines Vertrags. Unvorhersehbarkeiten können im Weiteren dazu führen, dass der geplante Kauf von Energie für den Eigenbedarf zur Notwendigkeit einer teilweisen Weiterveräußerung führt. Die Änderung des International Accounting Standards Board (IASB) an IFRS 9 und IFRS 7 in Bezug auf Stromerzeugungsverträge vom Dezember 2024 ermöglicht es, dass Rückverkäufe von überschüssiger Energie bei naturabhängigen Energiebeschaffungsverträgen unter bestimmten Voraussetzungen konform mit der Anwendung der Eigenverbrauchsausnahme sein können. Auch können Unternehmen in Sicherungsbeziehungen ein variables Nominalvolumen als Grundgeschäft designieren. Verbunden damit ist eine Ausweitung der Anhangangaben. Da die Änderung des IASB für Geschäftsjahre, die am oder nach dem 1. Januar 2026 beginnen, verpflichtend retrospektiv (nur für Hedge Accounting prospektiv) anzuwenden ist, müssen bestehende Verträge einer erneuten bilanziellen Würdigung unterzogen werden.

Klimaschutz und Nachhaltigkeit sind Gegenstand von Hinweisen zur Rechnungslegung des nationalen Berufsstands. So hat sich der Fachausschuss Unternehmensberichterstattung (FAB) erst kürzlich zur Abbildung von Klimaschutzverträgen geäußert und festgestellt, dass Klimaschutzverträge die Definition eines Derivats nach IFRS 9 Finanzinstrumente erfüllen. Im Mai 2024 hat der FAB einen IDW-Hinweis zur HGB-Bilanzierung von originären Finanzinstrumenten mit nachhaltigkeitsbezogenen Ausstattungsmerkmalen veröffentlicht.

Daher gilt es, sich nicht erst im Rahmen der Abschlusserstellung, sondern bereits bei Abschluss neuer Energielieferverträge mit den Herausforderungen der Rechnungslegung auseinanderzusetzen.

Autor*innen: Tarek Abdelghany, Heike Hartenberger

 

Dies ist ein Beitrag aus unserem Public Sector Newsletter 3-2025. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.

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