Zwischen Boom und Bürokratie: So gelingt deutschen Firmen der Start in Indien

Der Handelsstreit zwischen den USA und China zwingt deutsche Unternehmen zum Umdenken. Viele setzen nun auf Indien – doch der Boom-Markt birgt neben großen Chancen auch einige Risiken. Fünf Fehler, die Firmen unbedingt vermeiden sollten.

Deutschlands Außenminister Johann Wadephul (CDU) hat ein deutliches Signal gesendet: „Indien ist für uns ein Schlüsselpartner im Indopazifik.“ Im September reiste Wadephul nach Bangalore und Neu-Delhi, um die Zusammenarbeit mit dem südostasiatischen Land auszubauen. Indien könne Deutschland dabei helfen, sich „wirtschaftsstrategisch breiter und sicherer aufzustellen“, so Wadephuls Einschätzung.

Viele deutsche Unternehmenslenker*innen teilen diese Sicht. „Wir registrieren inzwischen deutlich mehr Anfragen zum Standort Indien“, berichtet Dirk Matter, Geschäftsführer im Düsseldorfer Büro der Deutsch-Indischen Handelskammer (Auslandshandelskammer Indien, AHK). Der Schritt ist aus seiner Sicht logisch, um im Zuge globaler De-Risking-Strategien Produktionsstandorte und Lieferketten zu diversifizieren. Indien biete technologische Kompetenz, eine Wirtschaft auf Wachstumskurs und vergleichsweise hohe politische Stabilität. Doch es gibt auch Herausforderungen, die Unternehmen bisweilen unterschätzen. Fünf typische Fehler – und wie sie sich vermeiden lassen.

1. Fehler: Zertifizierungs- und Marktzugangsrisiko unterschätzen

Häufig beginnt das Indienabenteuer mit einer unerwarteten Hürde: Sogenannte Quality Control Orders (QCO) legen fest, welche Anforderungen Produkte erfüllen müssen, um importiert, hergestellt oder verkauft werden zu dürfen. Entsprechende Zertifizierungen sind oft teuer und langwierig. Die Vorschriften betreffen inzwischen ganze Branchen und greifen so tief in Lieferketten ein. „Was ursprünglich als Qualitätsmaßnahme gedacht war, ist zu einem protektionistischen Instrument geworden“, erklärt Matter.

Besonders der Maschinenbau kämpft mit langen Wartezeiten und kostspieligen Prüfverfahren, bei denen indische Inspektor*innen mitunter Anlagen in Deutschland abnehmen müssen – auf Kosten der Unternehmen. Rund ein Drittel der deutschen Betriebe zählt QCOs laut einer Umfrage der AHK zu den größten Herausforderungen im Indiengeschäft. Wer dies zu spät erkennt, riskiert Verzögerungen, Vertragsstrafen oder den Verlust von Aufträgen. Matters Rat: Zertifizierungen gehören an den Anfang jeder Indienstrategie – nicht an ihr Ende.

2. Fehler: Bürokratie nicht ernst genug nehmen

Die indische Rupie ist nicht frei konvertierbar. Die Zentralbank kontrolliert, welche Beträge in andere Währungen getauscht oder außer Landes gebracht werden dürfen. Die praktischen Konsequenzen dieses Umstands seien nicht jedem Unternehmen bewusst, sagt Matter: „Dokumentations- und Freigabeverfahren können lang und aufwendig sein, teilweise müssen Wirtschaftsprüfer*innen eingeschaltet werden – sonst liegen Zahlungsströme auf Eis.“ Auch das Steuerrecht ist anspruchsvoll. „Mit dem neu eingeführten Mehrwertsteuersystem ,Goods and Service Tax‘ sind sehr komplexe Regularien geschaffen worden“, sagt Matter.

Fortschritte bei der Digitalisierung ermöglichen zwar, viele Prozesse online abzuwickeln. Für die Registrierung ist jedoch oft zwingend eine indische Mobilfunknummer erforderlich. Korruption bleibt ebenfalls ein Thema, auf das sich deutsche Firmen einstellen müssen. „Ohne lokale Unterstützung sind bürokratische Abläufe kaum zu bewältigen“, warnt Matter. Die Lehre: Indien verlangt eine robuste Compliance-Aufstellung – rechtlich wie organisatorisch. Wer das unterschätzt, verliert Zeit und Geld.

3. Fehler: Den Arbeitsmarkt romantisieren

Indien verfügt über einen enormen Talentpool. Doch viele Unternehmen unterschätzen die Spannweite der Qualifikationen und den intensiven Wettbewerb um gute Kräfte. „Alle wollen die gleichen Talente“, sagt Matter. In Zentren wie Bangalore, Pune oder Hyderabad konkurrieren indische und internationale Unternehmen um dieselben Ingenieur*innen – deren Gehälter längst nahe am europäischen Niveau liegen.

Gleichzeitig existiert für viele deutsche Berufsprofile – etwa Mechatroniker*innen oder hochqualifizierte Facharbeiter*innen – keine direkten Pendants. „Große Firmen müssen deshalb sehr viel in die Aus- und Weiterbildung vor Ort investieren“, erklärt Matter. Der Rat: Standortentscheidungen an Talentclustern ausrichten und Weiterbildung als zentralen Baustein der Indienstrategie begreifen. Sonst droht trotz der enormen Bevölkerungsgröße ein Mangel an Fachkräften.

4. Fehler: Kulturelle Unterschiede missachten

Geschäftsbeziehungen in Indien funktionieren anders als in Deutschland; Hierarchie und persönliche Beziehungen sind entscheidend. „Die Menschen in Indien sind unglaublich positiv und enthusiastisch“, beschreibt Matter. Deutsche Direktheit erzeugt schnell Missverständnisse oder stößt Gesprächspartner*innen vor den Kopf. Die Kehrseite: Weil Konflikte selten offen adressiert werden, fallen Zusagen bisweilen zu optimistisch aus – selbst wenn intern Zweifel bestehen.

„Manchmal entweicht dann im Nachhinein langsam die Luft aus dem Ballon, und man landet recht spät auf dem Boden der Tatsachen“, sagt Matter. Kritische Gespräche seien möglich, erforderten aber intensives Networking im Vorfeld. Sein Rat: „Wer in Indien Geschäfte machen will, muss vor Ort sein, sich intensiv mit dem Land beschäftigen und im Zweifel lokale Berater*innen hinzuziehen.“

5. Fehler: Indien als einen einzigen Markt betrachten

Auch wenn es aus der Ferne anders wirken mag: Indien ist ein Subkontinent mit erheblichen regionalen Unterschieden – in Sprache, politischer Kultur, Talentangebot und Wirtschaftskraft. „Delhi ist nicht Bangalore, und Tamil Nadu ist nicht Maharashtra“, sagt Matter. Bundesstaaten verfügen zudem über unterschiedlich effiziente Verwaltungsstrukturen und bieten jeweils eigene Förderprogramme im Wettbewerb um Investitionen.

Viele deutsche Unternehmen haben diese Erkenntnis inzwischen verinnerlicht: Laut AHK produzieren immer mehr Firmen für den lokalen Markt oder richten regionale Entwicklungszentren in Indien ein. Wer Indien als einen einheitlichen Markt behandelt, landet schnell im falschen Ökosystem – mit teuren Umwegen, Standortwechseln oder Personalproblemen, warnt Matter. Die Lehre: Erfolgreiche Indienstrategien sind regional differenziert – nicht zentralisiert.

Der Einstieg in den indischen Markt verlangt gründliche Vorbereitung, kulturelles Feingefühl und realistische Erwartungen. „In Indien wird nach anderen Regeln gespielt – und die muss man kennen“, sagt Matter. Zugleich bietet das Land enorme Chancen für Wachstum, Innovation und strategische Unabhängigkeit. Viele deutsche Firmen erzielen dort laut AHK bereits zweistellige Renditen. Der indische Markt ist also verheißungsvoll – und für jene, die ihn verstehen, hochprofitabel.

Indien in Zahlen

  • 1,43 Mrd.Bevölkerung
  • 3,29 Mio. km²Fläche
  • 3,91 Bill. $Bruttoinlandsprodukt
  • 2547BIP pro Kopf
  • 6Wachstum
  • 4,67 %Inflation
  • 701,6 Mrd. $Warenimporte
  • 442,6 Mrd. $Warenexporte
  • 259Handelsbilanz
  • Stand 2024, Quellen: IWF, WTO, CIA

 

Bharat Dhawan, Managing Partner von Forvis Mazars in Indien, über die Vorteile für deutsche Unternehmen bei Investitionen auf dem Subkontinent

 

Diese Faktoren machen Indien attraktiv

Indien gehört zu den Wachstumstreibern der Weltwirtschaft. Das Land bietet einen der größten und dynamischsten Konsummärkte weltweit. Mit mehr als 1,4 Milliarden Einwohner*innen und einer schnell wachsenden Mittelschicht verbindet Indien Größe, Jugend und wirtschaftliche Dynamik. Getrieben wird das Wachstum durch starke Inlandsnachfrage, den Ausbau der Infrastruktur und die Initiative „Make in India“.

Ausländische Investoren finden hier Chancen für die Diversifizierung ihrer Lieferketten und den Marktzugang. Hinzu kommt ein lebendiges Innovations-Ökosystem – besonders auf den Gebieten Fintech, SaaS, E-Mobilität, erneuerbare Energien und Health-Tech. Doch der Markteintritt ist anspruchsvoll. Komplexe Vorschriften, ungleiche Infrastruktur, schwierige Grundstücksübernahmen und unterschiedliche Regeln in den Bundesstaaten sind Hürden, die Steuer- und Beschaffungsprozesse kompliziert. Trotz vieler junger Menschen gibt es Fachkräftemangel. Die regionale Vielfalt erfordert lokale Strategien. Bürokratische Verzögerungen und Umweltprobleme – vor allem Luftverschmutzung in Städten – erhöhen die Risiken.

Direktinvestitionen sind einfacher geworden

Trotz eines fragilen globalen Umfelds bleibt Indien ein Lichtblick. In den vergangenen zehn Jahren ist die Wirtschaft stark gewachsen. Internationale Organisationen bestätigen Indiens robuste Wachstumsaussichten und seine Widerstandskraft. Laut dem „Doing Business Report“ der Weltbank ist der Marktzugang einfacher geworden: Das Ranking verbesserte sich von Platz 142 im Jahr 2015 auf Platz 63 im Jahr 2025. Im „IMD World Competitiveness Index 2024“ liegt Indien auf Rang 39, im „World Bank Logistics Performance Index 2023“ auf Rang 38.

Der wichtigste Rat für ein deutsches Unternehmen, das den Einstieg in Indien plant

Vor der Investition sollten deutsche Unternehmen die regulatorische und steuerliche Struktur gründlich prüfen. Die Wahl der Rechtsform – Tochtergesellschaft, Joint Venture oder Repräsentanz – hängt von Größe, Kontrollwunsch und den Investitionsgrenzen für ausländische Firmen ab. Ebenso wichtig sind von Anfang an ein solides Rechnungswesen sowie ein Compliance-System. Lokale Berater*innen mit grenzüberschreitender Erfahrung sind unverzichtbar.

 

 

 

 

 

 

 

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Bharat Dhawan, Managing Partner von Forvis Mazars in Indien

 

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