AdV-Verfahren zur doppelten Festsetzung von Grunderwerbsteuer bei zeitlicher Abweichung von schuldrechtl. und dinglichem Geschäft

Mit Beschluss über die Aussetzung der Vollziehung (AdV) vom 9. Juli 2025 (II B 13/25) hat sich der Bundesfinanzhof (BFH) erstmals zu der Frage einer möglichen doppelten Festsetzung von Grunderwerbsteuer (GrESt) bei zeitlichem Auseinanderfallen des schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäfts (Signing) und des dinglichen Verfügungsgeschäfts (Closing) geäußert. Im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes hat der BFH dabei – entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung und der Vorinstanz (Finanzgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9. Januar 2025, 12 V 12130/24) – ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der doppelten Festsetzung von GrESt bei nicht fristgemäßer bzw. unterlassener Anzeige geäußert. Im konkreten Fall war dem Finanzamt bei Erlass der GrESt-Bescheide der Vollzug des dinglichen Rechtsgeschäftes bereits bekannt.

Auffassung der Finanzverwaltung

Nach Auffassung der Finanzverwaltung besteht nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 3 GrEStG der Vorrang des Tatbestandes des § 1 Abs. 2b GrEStG gegenüber der Besteuerung nach § 1 Abs. 3 GrEStG nur bei zeitgleichem Signing und Closing. Dagegen sei bei zeitlichem Auseinanderfallen von Signing und Closing grds. sowohl im Zeitpunkt des Signing als auch im Zeitpunkt des Closing GrESt festzusetzen (doppelte Festsetzung; gleich lautende Ländererlasse vom 10. Mai 2022, Tz. 8.1, BStBl I 2022, S. 801). Das Vorrangverhältnis werde in diesen Fällen durch die im Jahr 2022 neu eingeführte Norm des § 16 Abs. 4a, Abs. 5 GrEStG umgesetzt (gleich lautende Ländererlasse vom 5. März 2024, BStBl. I 2024, S. 383, Tz. 29, 30). Ab dem 21. Dezember 2022 werde die Festsetzung nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 3 oder Abs. 3a GrEStG auf Antrag aufgehoben bzw. geändert, allerdings nur, sofern beide Erwerbsvorgänge (§ 1 Abs. 2a bzw. Abs. 2b GrEStG einerseits und § 1 Abs. 3 bzw. Abs. 3a GrEStG anderseits) fristgerecht und vollständig angezeigt werden. Dies war vorliegend nach Auffassung der Finanzverwaltung nicht der Fall.

Sachverhalt und ernstliche Zweifel des BFH

Im Sachverhalt, der dem AdV-Verfahren zugrunde lag, wurde der Vertrag über den Kauf von 100 % der Anteile an einer grundbesitzenden Kapitalgesellschaft am 11. März 2024 notariell beurkundet (Signing). Der dingliche Vollzug des Rechtsgeschäfts (Closing) erfolgte nach Kaufpreiszahlung Ende März. Die Anzeige des schuldrechtlichen Rechtsgeschäfts vom 11. März 2024 durch den Notar erfolgte erst am 4. April 2024, also nach dem dinglichen Anteilsübergang. Eine gesonderte Anzeige für das dingliche Rechtsgeschäft unterblieb vollständig. Wegen der fehlenden Closing-Anzeige setzte das Finanzamt doppelt GrESt fest, obwohl es bei Erlass der GrESt-Bescheide Ende Mai bereits Kenntnis vom dinglichen Vollzug des Rechtsgeschäfts hatte.

Die Antragstellerin hat gegen den ihr gegenüber ergangenen Bescheid Einspruch eingelegt, der derzeit noch anhängig ist. Einen Antrag auf Aufhebung der Vollziehung lehnten sowohl das Finanzamt als auch das Finanzgericht ab.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde hielt der BFH nunmehr für begründet. Der BFH hält es für ernstlich zweifelhaft, dass die Auffassung der Finanzverwaltung mit dem Gesetzeswortlaut des § 1 Abs. 3 GrEStG vereinbar ist. Eine zeitliche Beschränkung der Besteuerung nach § 1 Abs. 2b GrEStG und § 1 Abs. 3 GrEStG lasse sich der Vorrangregelung des Einleitungssatzes des § 1 Abs. 3 GrEStG nicht entnehmen und sei nicht mit der Gesetzesbegründung vereinbar.

Zwar hat der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung zur Einführung des § 16 Abs. 4a GrEStG Ausführungen zum zeitlichen Anwendungsvorrang des Vorrangverhältnisses in § 1 Abs. 3 GrEStG dahingehend gemacht, als dass dieses nicht bei zeitlichem Auseinanderfallen von Signing und Closing gelten soll. Dies kommt jedoch – wie der BFH ausführt – im Gesetzeswortlaut des § 1 Abs. 3 GrEStG nicht zum Ausdruck. Daher ist es für den BFH auch rechtlich zweifelhaft, ob und wenn ja in welchem Umfang die Norm des § 16 Abs. 4a, Abs. 5 GrEStG das in § 1 Abs. 3 GrEStG normierte Vorrangverhältnis einschränkt.

Weitere rechtliche Zweifel leitet der BFH daraus ab, dass dem Finanzamt beim Erlass des angefochtenen Signing-Bescheids bereits bekannt war, dass der Übergang der Anteile (Closing) bereits erfolgt war und somit eine Steuerpflicht nach § 1 Abs. 2b GrEStG bestand. 

Ausblick/Empfehlung für die Praxis

Es ist erfreulich, dass der BFH dem misslichen Thema der doppelten GrESt bei zeitlichem Auseinanderfallen von Signing und Closing aus unserer Sicht recht deutlich eine Absage erteilt.

Allerdings erging der BFH-Beschluss lediglich im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes. Eine erstmalige höchstrichterliche Hauptsachenentscheidung wird voraussichtlich erst in mehreren Jahren erfolgen. Gleichzeitig besteht nur wenig Hoffnung, dass die Finanzverwaltung von ihrer Auffassung zwischenzeitlich Abstand nehmen wird.

Es bleibt somit bei einer Unsicherheit für die Praxis. Wir empfehlen daher dringend, auch in Zukunft sowohl den Signing- als auch den Closing-Vorgang fristgerecht anzuzeigen, um das Risiko der doppelten GrESt-Festsetzung zu vermeiden.

Autorin: Dr. Kristina Frankus

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