Es ist ein Paradigmenwechsel in Echtzeit. Was jahrelang stockte, gewinnt nun dramatisch an Fahrt in den Führungsetagen. M&A wird immer mehr vom Notfall-Werkzeug zur Wachstumsstrategie – auch hierzulande: Anfang September übernahm Deutz den Antriebsspezialisten Sobek Group für einen niedrigen dreistelligen Millionenbetrag und stieg damit ins Drohnen- und Defense-Geschäft ein. Wenige Tage später gab Meggle die Übernahme der Molkerei Rücker für 500 Mio. € bekannt. Diese Deals sind keine Einzelfälle, sondern Vorboten einer sich abzeichnenden historischen M&A-Welle.
In den ersten drei Quartalen 2025 erreichte das globale M&A-Volumen bereits mehr als 2 Bio. US$ – ein Anstieg von fast einem Drittel gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Und für das kommende Jahr erwartet Goldman Sachs ein weltweites M&A-Volumen von 3,9 Bio. US$ – eine der größten Deal-Wellen seit Jahren.1 Gleichzeitig prognostiziert die M&A-Investmentbank Lincoln International für das nächste Jahr aufgrund des aufgestauten Transaktionsbedarfs rund 20 % mehr Deals mit deutschen Zielunternehmen.
Diese Dynamik bestätigt aus der Beratungspraxis auch Dariush Ghassemi, Partner Financial Advisory bei Forvis Mazars: „Wir sehen zwei klare Treiber: Nach dem Corona-bedingten Freeze der vergangenen Jahre erleben wir eine deutliche Markterholung. Gleichzeitig führen geopolitische Veränderungen zu fundamentalen Anpassungen der Geschäftsmodelle, von denen der deutsche Mittelstand als traditionell export- und vernetzungsorientierte Wirtschaft besonders betroffen ist.“ Besonders interessant sei die internationale Perspektive: „Investoren aus China und Indien sehen deutsche Mittelständler als Türöffner für Kontakte zu deutschen OEMs und Tech-Unternehmen. Sie kaufen nicht nur das Unternehmen, sondern diese spezielle deutsche Ingenieurs-DNA und mittelständische Resilienz mit“, erläutert der Fachmann.
Mega-Trends heizen den M&A-Motor an
Dazu kommen strukturelle Mega-Trends, die die Renaissance des Geschäfts mit Fusionen und Übernahmen weiter anheizen: erstens der KI-Infrastructure-Boom mit prognostizierten Investitionen von mehr als 1 Bio. US$. Zweitens Private Equity mit vollen Kassen. In Deutschland kommt zudem ein dritter Punkt hinzu – die hiesige Nachfolgewelle: Zehntausende für die kommenden Jahren absehbare Unternehmensnachfolgen schaffen attraktive Akquisitionsziele. Für hochrangige Entscheider*innen bedeutet das: Wer jetzt strategisch plant, kann die Deal-Welle vielfältig nutzen – sowohl als Käufer als auch als Verkäufer.
Als Käufer eröffnen sich diverse Chancen: Software- und KI-Akquisitionen können die Digitalisierung um Jahre beschleunigen, nachhaltigkeitsorientierte Übernahmen stärken ESG-Profile und schaffen Wettbewerbsvorteile in regulierten Märkten. Konsolidierungs-Deals in fragmentierten Branchen bieten Skaleneffekte und Marktmacht, während Cross-Border-Transaktionen neue Absatzmärkte erschließen und Lieferketten diversifizieren.
Als Verkäufer entstehen ebenso attraktive Optionen: Familienunternehmen ohne geeignete Nachfolger können durch strategische Verkäufe ihr Lebenswerk in kompetente Hände legen und dabei den Unternehmenswert maximieren. Mittelständler mit Finanzierungsengpässen oder Investitionsstau können durch Übernahmen Zugang zu Kapital und Know-how größerer Partner gewinnen. Unternehmen in reifen Märkten profitieren von der Expertise und den Synergien strategischer Käufer, während Inhaber*innen vor dem Ruhestand liquide Exits realisieren können.
Mit den Chancen wachsen auch die Risiken
So verlockend die Aussichten sind – die größte M&A-Welle der Geschichte bringt auch enorme Governance-Herausforderungen mit sich. Käufer riskieren bei unzureichender Due Diligence – der systematischen Prüfung aller rechtlichen, finanziellen und operativen Aspekte eines Zielunternehmens – verdeckte Altlasten oder überhöhte Kaufpreise. Verkäufer können durch mangelhafte Transaktionsvorbereitung in Haftungsfallen tappen oder attraktive Chancen verpassen.
Es ist eine verschärfte Regulierung auf mehreren Ebenen, die Deals komplexer macht: So wurden etwa Regularien der Europäischen Union mit neuen Grenzwerten und Prüfkriterien deutlich restriktiver:2
„Die EU-Fusionskontrolle passt ihren Fokus an – selbst kleine Tech-Start-ups ohne nennenswerten Umsatz können unter die Kontrolle fallen, zum Beispiel wenn Big Tech ein innovatives Gründerteam kauft“, warnt Experte Ghassemi. Die EU wolle verhindern, dass bedeutende Innovationen einfach „abgesaugt“ werden. „Konkret bedeutet das: Wenn Sie heute ein junges KI- oder Software-Unternehmen in Deutschland haben, müssen Sie sich bei einem großen Investor-Einstieg gegebenenfalls mit EU-Fusionskontrolle beschäftigen – obwohl Sie vielleicht nur 10.000 € Gewinn gemacht haben.“
Und auch nationale Investitionsprüfungen überwachen strategische Branchen immer genauer: Die deutsche Außenwirtschaftsverordnung (AWV) prüft ausländische Direktinvestitionen ab 10 % in kritischen Sektoren wie KI, Biotechnologie oder Energie. Während die amerikanische CFIUS mit Strafen bis zu 5 Mio. US$ für nicht gemeldete Technologie-Übernahmen droht.
Besonders tückisch: Viele Mittelständler unterschätzen diese Risiken. Ein Maschinenbauer mit Robotik-Kompetenz oder ein Software-Entwickler mit KI-Algorithmen könnte plötzlich als „kritische Infrastruktur“ gelten. Oft reicht bereits eine kleine Software-Komponente, um meldepflichtig zu werden.3
Dazu revolutioniert die Digitalisierung selbst traditionelle Branchen mit Folgen, die das M&A-Risiko dramatisch erhöhen: Ob Gastronomiekette mit intelligenter Kassensoftware, Maschinenbau mit vernetzten Anlagen oder Logistik mit KI-Algorithmen – was früher simple physische Assets waren, sind inzwischen komplexe digitale Ökosysteme. Das Problem: Diese Vermögenswerte sind schwer bewertbar und bergen versteckte Haftungsrisiken.
Fünf Handlungsfelder für erfolgreiche Deal-Gestalter*innen
Angesichts dieser Herausforderungen führt kein Weg daran vorbei: Erfolgreiche Führungsgremien müssen ihre Rolle vom passiven Beobachter zum aktiven Deal-Gestalter wandeln – unabhängig davon, ob sie kaufen oder verkaufen wollen. Dabei kristallisieren sich fünf klare Handlungsfelder heraus.4
Deal-Bereitschaft als Dauerdisziplin: Käufer identifizieren kontinuierlich Übernahmeziele, Verkäufer analysieren systematisch Käuferkreise. Beide Seiten brauchen professionelle Vorbereitung statt hektischen Reagierens.
Transaktions-Exzellenz: Käufer benötigen standardisierte Integrationsprozesse, Verkäufer professionelle Exit-Strategien – von kultureller Eingliederung bis Nachhaltigkeits-Compliance.
Spezialisierte Führungsstrukturen: M&A-kompetente Aufsichtsräte und Beiräte werden unverzichtbar. Erfolgreiche Unternehmen integrieren Übernahmeerfahrung und externe Expertise in ihre Governance.
Integrierte Risikosysteme: Nachhaltigkeits-Rahmenwerke als Haftungsschutz. Käufer schützen sich vor Target-Risiken, Verkäufer maximieren Werte unter anderem durch transparente ESG-Compliance.
Professionelle Absicherung: Grenzüberschreitende Expertise vermeidet internationale Regulierungsfallen. Beide Seiten müssen Haftungsrisiken durch spezialisierte Beratung und Versicherungen abdecken.
Fazit: Die Weichen werden jetzt gestellt
Deutsche Führungsgremien stehen vor einer historischen Weichenstellung: Sie können als unvorbereitete Beobachter zusehen, wie andere die Chancen der anlaufenden M&A-Welle nutzen – oder sie selbst als Wachstumsbeschleuniger nutzen.
Quellenangabe